Im Exil ziehen sie selten an einem Strang

■ Chinas Dissidenten eint nur das Ziel der Demokratisierung. Während über den Weg gestritten wird, wollen einige nur Publizität

„Die chinesische Demokratiebewegung im Ausland hat so wenig beeinflußt, daß sich die Regierung in Peking eigentlich nicht zu fürchten braucht“, sagt Tienchi Martin- Liao aus Witten, die in verschiedenen exilchinesischen Organisationen in Deutschland aktiv ist. „In Einzelfällen hat die Exilopposition helfen können“, sagt sie, aber insgesamt sei die Situation der chinesischen Dissidenten im Ausland ernüchternd.

Der jetzt in die USA ausgewiesene Wang Bingzhang gehört zur Gründergeneration der Dissidentenorganisationen im Exil. Wang war einer der ersten, der mit der Ende 1978 eingeleiteten wirtschaftlichen Öffnungspoltiik zum Studium ins westliche Ausland durfte. Nach der Beendigung seines Medizinstudiums in Kanada gründete er im Dezember 1983 in New York die „Chinesische Allianz für Demokratie“, die auch noch heute existiert. Die Allianz war die erste Dissidentenorganisation im Ausland und quasi eine Fortsetzung der Ende der 70er Jahre in Chinas unterdrückten Demokratiebewegung.

In den 80er Jahren litt die Allianz allerdings schon unter den Machtkämpfen ihrer selbstsüchtigen Führer. Peking bezeichnete die Organisation 1987 als „reaktionär“ und später als „konterrevolutionär“ und versuchte, Mißtrauen zu säen. Als sich die Führung der Allianz spaltete, war dies von Vorwürfen gegen Wang Bingzhang begleitet, Geld der Organisation veruntreut zu haben. Der Ruf des in Dissidentenkreisen umstrittenen Senioraktivisten leidet darunter bis heute.

Nach der Niederschlagung der Demokratiebewegung im Juni 1989 stieg die Zahl der Dissidenten im Ausland sprunghaft an. Die meisten Neuexilanten wollten sich aber nicht von den bestehenden Organisationen vereinnahmen lassen, sondern gründeten ihre eigenen, wie die im September 1989 in Paris gegründete „Föderation für ein Demokratisches China“. Eine Vereinigung der beiden wichtigsten Organisationen scheiterte, obwohl mit der Gründung der „Allianz für ein Demokratisches China“ im Januar 1993 das vorgesehene Dach entstand.

Der in Berlin lebende chinesische Politikwissenschaftler Ding Ding schätzt die Mitgliederzahl der Exilorganisationen auf weltweit etwa 3.000. Die große Mehrheit sind Intellektuelle. Zur Szene gehören etwa 100 Schlüsselfiguren einschließlich der prominenten Dissidenten und Aktivisten früherer Protestbewegungen. „Unter ihnen gibt es keine Streitkultur, die Kompromisse beinhaltet. Sie denken stark in Ausschlußmustern und Schwarz-Weiß-Kategorien“, sagt Thomas Heberer, Sinologe und Professor für Politik Ostasiens an der Universität Trier. Die Zeit der Machtlosigkeit im Exil bei gleichzeitiger relativer Stabilität des Systems in China fördere eine Introvertiertheit der Dissidenten, die versuchten, sich vor allem selbst als Führer aufzubauen.

Die Dissidentengruppen eint das Ziel der Demokratisierung Chinas. Dazu gehört die Abschaffung des Machtmonopols der Kommunistischen Partei, der Schutz der Menschenrechte und des Privateigentums. Uneinigkeit herrscht jedoch darüber, wie dieses Ziel erreicht werden soll und in welchem Tempo. Einige Dissidenten, zu denen Heberer auch Wang rechnet, treten für eine möglichst rasche Umsetzung ihrer Maximalforderungen ein, während andere einen graduellen Wandel bevorzugten. Eine Dissidentenorganisation rief bereits vor einigen Jahren ihre Mitglieder zur Rückkehr nach China auf, um dort den „Marsch durch die Institutionen“ anzutreten und auf einen Wandel von innen zu setzen. „Innerhalb des Systems kann man viel machen“, meint auch Heberer. Das Machtmonopol der KP könne natürlich nicht in Frage gestellt werden, aber jenseits der Machtfrage gebe es viele Möglichkeiten und auch viel Raum für Diskussionen und Veränderungen. In China passiere sehr viel, mit dem insbesondere die Dissidenten, die China schon vor langer Zeit verlassen mußten, nicht vertraut seien.

„Die Aktion von Wang war weder überzeugend noch besonders tapfer“, meint Martin-Liao. Es sei nicht das erste Mal, daß jemand heimlich nach China zurückgegangen sei. „Doch meistens wollen die Leute Publizität für sich.“ Sven Hansen, Berlin