„Nur das Gold zählt“

Unglück für die Rodlerinnen Niedernhuber und Erdmann sowie Eischnelläuferin Claudia Pechstein – deutsche Landsfrauen holen Gold  ■ Von Peter Unfried

Susi Erdmann sagt oft, sie sei für eine Rodlerin eigentlich viel zu groß. Das stimmt. 1,87 Meter mißt sie, was ihr am Start zwar Vorteile bringt, in der Eisrinne aber soviel Windwiderstand beschert, daß sie längst nicht so kompakt runterrasen kann wie die Konkurrenz. Dennoch hat es die blonde, tendenziell fröhliche Frau im letzten Jahrzehnt immer wieder geschafft, wichtige Rennen zu gewinnen, zuletzt im Vorjahr die WM.

Nun stand sie gestern neben der Eisrinne von Iizuna Kogen und tat was? Sie „komplettierte den Super-Tag der Deutschen“, wie das die Agentur dpa formulierte. Erdmann (30) ist viertbeste Rodlerin der Welt geworden, eine Leistung, die „awesome“ ist, wie der Kollege Hackl sagen würde. Es gibt aber ein kleines Problem – sie ist damit nur drittbeste Deutsche.

Der Kollegin Barbara Niedernhuber ging es noch schlechter. Während die Olympiasiegerin Silke Kraushaar (27) darüber referierte, daß sie „eigentlich gedacht“ habe, „die Barbara gewinnt“, weil die doch immer weiter unten in der Spirale schneller als sie gewesen sei, stand Niedernhuber daneben und biß sich in die Lippen, bis das Blut spritzte. Jedenfalls fast.

Trost kommt in so einem Fall gerne von sich arglos gebenden Fernsehreportern, die aufzumuntern versuchen mit dem Hinweis, es habe ja wenigstens eine andere Deutsche gewonnen. Ein schöner Trost: Niedernhuber vollbrachte eine fast übermenschliche Leistung, indem sie sich im Idiom ihrer Heimat ein zustimmendes „baßt scho“ abquälte.

Die Berchtesgadenerin Niedernhuber (23) hat einen harten Winter hinter sich, in dem sie zunächst als einzige Bayerin in die deutsche und also Weltelite rodelte und danach in einer gnadenlosen Ausscheidung drei etablierte vormals ostdeutsche Athletinnen ausbootete. Obwohl vom Spezi Georg Hackl nach Kräften unterstützt, war sie am Ende vierer Läufe zwei Tausendstel langsamer als ihre Oberhofer Konkurrentin, 4,69 Zentimeter zurück.

Was bedeutet: Die zahlenmäßig überlegene, aber in punkto Öffentlichkeitsinteresse heillos ins Hintertreffen geratene ostdeutsche Partei wurde wenigstens nicht vernichtet. Andererseits ist der totale Sieg der Berchtesgadener Fraktion verhindert, die zumindest für regionale Sponsoren ein Traumpaar in Gold abgegeben hätte.

Der Berliner Eisschnelläuferin Claudia Pechstein (25) erging es ähnlich wie Niedernhuber. Pechstein sagte: „Eins, zwei, drei Deutsche – ich denk mal, besser geht's nicht.“ Natürlich nicht – jedenfalls für eine medaillenzählende Republik, der es schnurz ist, wer denn nun die 3.000 Meter gewonnen hat – Hauptsache Landsfrau. Für die Athletin Pechstein ist es möglicherweise ein ökonomisches Desaster. Pechstein (23), trotz Olympiasieg von Lillehammer seit Monaten auf Quengeltour durch die Republik, um fehlende Sponsoren einzuklagen, muß sich der Marktführerin auf dem kleinen Markt der Langstrecklerinnen beugen, der nun dreifachen Olympiasiegerin Gunda Niemann (31). Ohne Gold geht in einer Wintersportart kaum etwas. 1992 fuhr Rodlerin Erdmann als Favoritin nach Albertville und hatte im ersten Lauf „einen totalen Blackout“. Sie wurde schließlich noch Dritte, eine außerordentliche sportliche Leistung, die „eh ein Wahnsinn war“. Kam nach Hause und stellte fest: „Da kräht kein Mensch nach einer Bronzemedaille.“

Danach schaffte sie es, sich mit professioneller Medienarbeit „einen Namen zu schaffen“. Das Ziel war klar: „Die Zeit in der Weltspitze zu nutzen, um Sponsorenverträge zu machen, daß man später einen Grundstein hat.“ Zwei Jahre später in Lillehammer holte sie Silber – Ergebnis: Wieder krähte keiner. Wenigstens war sie Beste ihres Teams. Ein 6. Platz im gestrigen Super-G mag für Favoritin Seizinger unbefriedigend sein. Das Schlimmste aber ist an ihr vorübergegangen, weshalb sie für ihre Verhältnisse relativ fröhlich wirkte. Das Schlimmste wäre ein Sieg von Hilde Gerg gewesen – oder Martina Ertl. Selbiges gilt für den Skispringer und nationalen Branchenführer Dieter Thoma, der sich von einem Olympiasieg des Freundes Sven Hannawald nur schwer erholen würde. Es gibt außer Alberto Tomba kaum Wintersportler, die auf dem internationalen Markt funktionieren. Selbst Seizinger und Thoma sind ausschließlich nationale Helden (Produkte) – insofern geht es darum, zumindest deutschlandweit Branchenführer zu bleiben.

Der Rodler Müller, die Eisschnelläuferin Friesinger (beide Bronze) haben natürlich auch etwas gewonnen. Geld beiseite legen können sie nicht. „Das“, sagt Erdmann heute, „schaffen wir nie.“ Weitermachen wird sie dennoch. Jetzt kurz in Urlaub fahren, „Abstand gewinnen, dann geht's schon wieder los“. Als amtierende Weltmeisterin ist sie für die nächste WM gesetzt, die Saison ist finanziell gesichert. Erdmann bleibt im Kader, bekommt weiter Sporthilfe, wird ihren Privtsponsor behalten, kann in ihrer Bundeswehrfördergruppe bleiben. Es ist das erste Mal seit zehn Jahren, daß sie bei einem Großereignis ohne Medaille blieb, eine große Leistung. Außerdem ist sie schon mal im „Aktuellen Sport-Studio“ des ZDF mit Günther Jauch Doppelsitzer gefahren. „Sonst“, sagt sie, „würde mich keine Sau kennen.“

Wäre alles anders gekommen, wenn sie 1992 Olympiasiegerin geworden wäre? „Mit Sicherheit“, sagt Erdmann. „Gold zählt in dieser Gesellschaft – aber alles andere zählt nichts.“ Letztlich „ist es so“, wie Siegerin Kraushaar mit einem Lächeln der Nation und der Konkurrentin Niedernhuber erklärte: „Die Uhr mißt's.“ Ob sich für die nach Nagano alles ändert, wird sich zeigen. Susi Erdmann aber ward derweil nicht mehr auf dem Bildschirm gesehen. Als ob es sie nie gegeben hätte.