Our Daily Meta-Talk

■ Das Geschwafel über Talkshows ist nun in der Provinz angekommen. Verblüffend: Talk über Talk funktioniert ganz genauso wie Talk selbst

Warum besucht man ein Rockkonzert? Ja wohl nicht, weil man die Songs noch nicht kennt, im Gegenteil: Der Wiedererkennungswert treibt den Zuhörer in die Arena und die Möglichkeit, die Idole einmal hautnah zu erleben. Vor Ort ist es also meistens etwas Neues. Im ganzen eher nicht.

So ähnlich verhält es sich mit Mediengesprächen. Zwar werden selten wirklich neue Thesen präsentiert, aber auch wenn man die der Presse schon wiederholt entnommen hat, so scheint doch ein besonderer Reiz in der Live-Bewährung auf dem Podium zu liegen. So auch, als vergangene Woche die schleswig-holsteinische Medienanstalt ULR in Kiel ihre einschlägige Sause absolvierte. Man hatte einmal mehr Wohl und Wehen der Daily-Talks am Schlafittchen. Unter dem (so ist das immer) flott alliterierenden Titel „Talkshows – Tabubruch oder Therapie?“ sollten unterschiedliche Thesen und Temperamente aufeinandertreffen, um die nicht besonders verwickelte Lage zu erhellen. Ein Talk-Talk sozusagen. Da der Mediendiskurs bei diesem Thema nach all der Übung besonders gut geölt ist, findet er nun problemlos den Weg an die Peripherie. Zeit also, den Diskurs über Talk-Talk zu beginnen.

Es ist nämlich verblüffend, wie schnell sich – gerade hier – der Meta-Talk seinem Gegenstand annähert. Das schwante selbst den Kieler Veranstaltern, die sich in die Frage „Exhibitionismus oder Problembewältigung?“ retteten, welche sie über die zentrale Podiumsdiskussion ihres großen Tages schrieben. Aber selbst diese seriöse Formulierung verbirgt nicht, daß es vor allem um die Entscheidung einer als drängend suggerierten Frage geht, deren Knackpunkt vor allem moralischer Art ist. Sind Talkshows gut oder böse?

Sie sind gut, sagt zum wiederholten Mal Fred Kogel (Sat.1-Geschäftsführer). Sie sind erfolgreich, treffen auf ein Bedürfnis mündiger Zuschauer, und man soll bloß nicht so überheblich sein. Werte sind in Gefahr, vor allem bei Jugendlichen, sagt Medienwächterin Jutta Kürtz von der ULR-Versammlung. Und Kritikerin Barbara Sichtermann pocht auf den aufklärerischen Gewinn des enttaubisierten Sprechens. Alles bekannt.

Warum dann überhaupt so eine Veranstaltung? Wahrscheinlich, weil sie eine Ebene höher nichts anderes will – zumindest aber bewirkt – als die anrüchigen Zankstunden. Da gibt es ein Problem, und solange man nicht darüber geredet hat, ist Gefahr im Verzug. Erst das Gespräch soll die bösen Geister unter den Bannstrahl der Öffentlichkeit stellen.

Dabei ist das Ziel, ob gewollt oder ungewollt, meistens Entwarnung. So verteidigt Sichtermann den Daily-Talk mit der Bemerkung, er folge doch meistens einer Dramaturgie, die das Böse bestraft und das Gute belohnt. So auch im Meta-Talk. Nur daß die Positionen so lange im Werteraster hin- und herrutschen, bis sie ihren einigermaßen widerspruchsfreien Platz gefunden haben. Am Ende ist der Sat.1-Wolf doch nur ein grimmiges Lämmchen, das stolz auf psychologische Nachbetreuung, saubere Recherchen und verantwortungsvolle Jugendschutzbeauftragte verweist. Noch Einwände?

Das dialektische Prinzip mit harmonisierender Tendenz ist also Programm. Es fällt zum Beispiel auf, daß der einzige analytische Beitrag, das Referat des Kieler Medienprofessors Hans-Jürgen Wulff („Talkshows als Theateraufführung“), zwar weitgehende Zustimmung findet, aber dann keine Rolle mehr spielt. Gut oder Böse läßt sich damit halt schwer dingfest machen.

Am Ende ist sowieso alles halb so schlimm, und man mag Sat.1- Mann Henning von der Osten kaum widersprechen, denn „man kann sich vielmehr entspannen, als man glaubt“. Oder wie Vera Int- Veen (Vera am Mittag) es unvergleichlich formuliert: „Wir achten schon darauf, daß wir sauber bleiben.“ Na dann. Sven Sonne