Türkei rüstet sich für den neuen Golfkrieg

Mindestens 5.000 türkische Soldaten sind in den letzten Tagen in den Norden Iraks eingedrungen. Im Fall eines Angriffs der USA sollen sie kurdische Flüchtlinge daran hindern, die rettende Grenze zu überqueren  ■ Aus Istanbul Ömer Erzeren

Dem stellvertretenden türkischen Ministerpräsidenten schlägt die Irak-Krise auf den Magen. „Ich kann es nicht verdauen, daß die Amerikaner sich nicht mit der Türkei beraten!“ schimpfte Bülent Ecevit: „Sie werden den Krieg weit entfernt im Fernsehen beobachten, aber wir werden ihn zu Hause hören.“ Ein Bombardement der irakischen C-Waffen-Lager bedrohe den Südosten der Türkei: „Gott bewahre, ein zweites Halabdscha droht der Region.“ 1988 hatte Iraks Staatschef Saddam Hussein in der nordirakischen Stadt Halabdscha Giftgas gegen die kurdische Zivilbevölkerung eingesetzt. Ziel der US-Politik sei die Spaltung Iraks, wetterte Ecevit. Daraus resultiere dann die Gründung eines „kurdischen Satellitenstaates“.

Diese Einschätzung entspricht zwar nicht der offiziellen Politik der türkischen Koalitionsregierung unter Mesut Yilmaz. Doch die von Ecevit geführte Partei der demokratischen Linken hat starkes Gewicht in der Koalition und stellt unter anderem den Außenminister Ismail Cem. Den hatte Ecevit in der vergangenen Woche nach Bagdad geschickt, um Saddam Hussein zum Einlenken zu bewegen – vergeblich.

Beim letzten Golfkrieg gegen den Irak im Frühjahr 1991 hatten die USA in der Türkei einen zuverlässigen und kritiklosen Bündnispartner. Von dem türkischen Luftwaffenstützpunkt Incirlik starteten Bomber in Richtung Bagdad. Doch die damaligen Erwartungen der türkischen Politiker, daß ihr Staat gestärkt aus dem Golfkrieg hervorgehen werde, erfüllten sich nicht.

Racheakte Saddam Husseins befürchtend, flohen nach dem Ende des Krieges Hunderttausende irakische Kurden in die Türkei. Schätzungen zufolge machte die Türkei durch die Sperrung der vom Irak zur türkischen Mittelmeerküste verlaufenden Ölpipeline und das von der UNO gegen Irak verhängte Wirtschaftsembargo in den zurückliegenden sechs Jahren Verluste von 35 Milliarden US-Dollar. Weitere Konsequenz des Golfkrieges war die Entstehung eines Klein-Kurdistan auf nordirakischem Territorium. Die türkisch-kurdische Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) nutzte die Grenzregion, um auf irakischer Seite Lager zu errichten.

In dem neuen Irak-Konflikt bestimmen zwei Ängste die türkische Position: daß der Irak nach einem Sturz Saddam Husseins in mehrere Teile gespalten wird und ein kurdischer Staat entsteht und daß erneut eine Massenflucht irakischer Kurden in die Türkei einsetzt. Wohl auch um letzteres zu verhindern, sind nach zuverlässigen Informationen in der Nacht von Sonntag auf Montag erneut zwischen 5.000 und 7.000 türkische Soldaten in den Norden Iraks eingedrungen. Der Generalstab in Ankara dementiert das, doch laut türkischen Presseberichten sollen weitere 30.000 Soldaten für einen Einmarsch bereitstehen, um im Kriegsfall Flüchtlinge bereits auf irakischem Territorium abfangen zu können.

Die türkische Tageszeitung Sabah (Der Morgen) berichtete gestern aus dem von der türkischen Armee für Journalisten gesperrten Gebiet, bei Kämpfen mit türkischen Soldaten seien am Dienstag 20 Kurden erschossen worden. Aus Angst vor einer weiteren Eskalation der Lage hätten sich erste Flüchtlingstrecks in Richtung Türkei in Bewegung gesetzt. Auch Abdurrahman Keskin, Bürgermeister der nahe der irakischen Grenze gelegenen Stadt Hakkari, berichtet über Fluchtbewegungen.

Ministerpräsident Mesut Yilmaz hatte bereits vergangene Woche angekündigt, daß die Türkei im Nordirak „Maßnahmen ergreifen wird, um Flüchtlingsströme zu verhindern“. Innerhalb einer militärischen Pufferzone solle die Armee Zeltlager errichten. Im Vorfeld bevorstehender Bombenangriffe hat das türkische Militär strategische Orte im Nordirak besetzt – sicherlich mit Rückendeckung der USA.

Yilmaz bemüht sich derweil, seinen Koalitionspartner Ecevit von antiamerikanischen Tönen abzubringen: „Die Raketen Saddam Husseins bedrohen auch uns“, begründet er die Notwendigkeit eines Bündnisses mit den USA. Ob den US-Bombern die Erlaubnis erteilt wird, wie vor sechs Jahren vom Luftwaffenstützpunkt Incirlik aus aufzusteigen, ist indes ungewiß. Die USA hätten bislang nicht um eine solche Erlaubnis nachgesucht, behauptet Yilmaz. Falls dies noch geschehe, dann müsse das türkische Parlament erst noch den Einsatz billigen.