Kitsch mit Zeigefinger

■ Sommertheater: Plastik und Parolen beim „Gala Diner der Zukunft“

Wir sind geladen zu einem Bankett der Obdachlosen von Rio de Janeiro. Es werden Rolltische hereingeschoben, auf denen mit spärlicher, an Schülertheater erinnernder Requisite ein überbordendes Menü dargestellt sein soll: Plastik-Spaghetti, die aus Sperrmüll quellen.

Eine der letzten Szenen aus José Leals Gala Diner der Zukunft (Banquete do Futuro), das als „unsichtbares Theater“ angekündigt war und Mittwoch und Donnerstag im Rahmen des Kampnagel-Sommertheaters gezeigt wurde. Wer dabei an interaktive Theaterformen gedacht hatte, irrte. Der Versuch, das Publikum in die Szenen miteinzubeziehen, ging nicht über die Verzierung einiger Zuschauer mit NVA-Kopfbedeckung und Bischofshut hinaus.

Ansonsten durften die Anwesenden der „Kanniballade“ von brasilianischen Obdachlosen in zwei Sprachen folgen. Friedrich Wilhelm Timpe und José Leal (der Dichter selbst) wechselten sich in ihren Rollen als Erzähler und Darsteller ab. Während der eine vortrug, agierte der andere als Penner Filo im laienhaft mit strahlend weißer Parkbank und artig aufgestellter Mülltonne ausgestatteten Bühnenbild. Elends-Atmosphäre mochte da nicht aufkommen, auch wenn parallel an die Wand projizierte Reiseprospektansichten von Rio de Janeiro und Hamburg kontrastbildend wirken sollten.

Eine Handlung, die von Leals Hoffnung auf eine Revolution von unten getragen wäre, erschloß sich nicht. Als Fixpunkt bestand lediglich das oben beschriebene „Anthropophagische Bankett“, das sich als rebellischer Akt einer Bettler-Gemeinschaft begreift, die von Leal als „Humus der Menschlichkeit“ gepriesen wird.

Ein Teil dieses Nährbodens ist Filo, der sich auf seinem Elendsweg in die ebenfalls ins Obdachlosenschicksal geratene Soziologin Sofia verliebt. Aber, ach! – ein schnödes Wortspiel nur. Auch der dritte Penner, ein auf Abwege geratener Geistlicher, kann den vom Dichter intendierten sozialkritischen Impetus nicht vermitteln. Wir sind in Lateinamerika, aber nicht in den Favelhas.

Während des Banketts dürfen sich Filo, Sofia & Co. darüber freuen, daß ihr ironisch-demaskierend gemeintes Spektakel von der Weltpresse als tränenrührende Subkultur-Prozession vereinnahmt wird. Mit dem erhobenen Zeigefinger bemerkt Leal schließlich, daß die Medien nicht allein die Übertragungs-, sondern auch die Manipulationsrechte des Gala-Diners erworben hätten. folk/plm