Frei von Aktualität

■ Bertolt Brechts „Mutter Courage“, im Ernst-Deutsch-Theater als artiger Abonnenten-Klassiker inszeniert

Seit fast fünfzig Jahren zieht sie nun unverdrossen ihr vollbepacktes Wägelchen über Deutschlands Theaterbühnen: Die Marketenderin Mutter Courage, Bertolt Brechts wohl volkstümlichste Bühnenfigur. Dem Nachkriegspublikum wird die Geschichte von der kleinen Mitläuferin zwischen den Mahlsteinen der Geschichte noch bitter aufgestoßen sein, mittlerweile gilt die Kriegsmoritat jedoch als uneingeschränkt abonnenten- und tourneetheatertauglich.

Auch am Ernst-Deutsch-Theater hatte man am Mittwoch abend der Versuchung nicht widerstehen können, mit diesem Evergreen des Deutschunterrichts die Spielzeit zu eröffnen. Während im Programmheft noch kluge Texte über den Krieg als solchen und – wie hätte es auch anders sein können? – in Bosnien abgedruckt waren, hielt sich die Inszenierung von Antje Lenkeit und Jens Paarmann von jedwedem Aktualitätsbezug frei.

Ganz auf die Kraft des Brechtschen Wortes hatte man offenbar vertrauen wollen, ohne auf der Bühne dramatische Räume und Situationen zu schaffen, die über gemütliche Theaterkonvention hinausgingen. Das gähnend leere schwarze Bühnenloch, in dem sich ein Großteil der Handlung abspielt, ist für alles gleich gut und gleich schlecht: Von Maria Stuart über Hänsel und Gretel bis hin zur Mutter Courage ließe sich darin jedes Stück rezitieren. Der Marketenderwagen bildet das einzige Versatzstück, das verrät, worum es sich handelt, ansonsten werden die einzelnen Szenen nur durch den Erzähler konkretisiert.

Um so schwerer für die Schauspieler, ohne zureichende Hilfe von Bühne und Personenführung zu einem adäquaten Darstellungsstil zu finden: Statt sarkastischer Distanz oder individueller Charakterzeichnung dominieren weithin beliebige Sprechtheaterrhetorik und hausbackene Typendarstellung. Kennzeichnend die große Schlußszene von Courages stummer Tochter, grell überzeichnet von Morena Bartel: Bauernvolk und Soldaten in schwarzen Anzügen, mit weißgeschminkten Gesichtern, umstellt auf der leeren Bühne die trommelnde Katrin, der Offizier hetzt im Vordergrund hin und her, alle bedrohen das Mädchen, ohne ihm ganz einfach die Trommel, mit der es die Bewohner der belagerten Stadt zu warnen versucht, aus der Hand zu nehmen.

Auch Paul Dessaus Bühnenmusik wird lediglich brav serviert, ohne daß Instrumentalisten oder Sänger-Schauspieler die ätzende Schärfe vermitteln könnten, die den provokativen Reiz der Songs bilden. Einzig Eva-Maria Hagen in der Titelrolle ist in der Lage, ihren Couplets die gleiche resignierte Grundstimmung zu verleihen, die auch ihre Rollensicht kennzeichnet: Von Anfang an gebrochen, ist sie eine Courage der leiseren Töne, verströmt kein proletarisches Pathos, sondern offenbart die unter der Alltagsruppigkeit verborgene Verletzlichkeit dieser Frau.

Jörg Königsdorf