Schöner Palettenwohnen 2001

■ Mit Kalte Platte bringt der Verein Obdach-Fertig-Los ein böses Stück über soziale Ausgrenzung auf die Bühne des TiK

Obdachlose sieht man überall. Auf der Straße, in der U-Bahn und bisweilen sogar im Fernsehen. Die Medienwelt hat den Klischee-Obdachlosen längst entdeckt: Mit langem Bart und langem Mantel schlawinert er sich durch Fernsehserien und Spielfilme, ein Schauspieler, verkleidet als Penner nach bürgerlichem Geschmack.

Um Einblicke ganz anderer Art geht es dem Verein Obdach-Fertig-Los, wenn er am Freitag sein zweites Theaterprojekt zur Uraufführung bringt. Sämtliche Schauspieler haben bereits „auf Platte“gelebt, die meisten jedoch mittlerweile wieder eine Wohnung gefunden – nicht zuletzt durch die Theaterarbeit. „Als wenn sie uns als Theatergruppe auflösen wollten“, kommentiert Klaus Lenuweit fast bedauernd die „Normalisierung“der Darsteller, die stetig fortschreitet.

Gemeinsam mit Gerhard Arland gründete der ehemals Obdachlose vor drei Jahren das Theaterprojekt Obdach-Fertig-Los. Das Stück Kalte Platte, wie schon Pension Sonnenschein, mit dem die Gruppe im Dezember 1996 ihre ersten Erfolge feiern konnte, stammen aus der Feder der Initiatoren, die lange Zeit am Rand der Gesellschaft gelebt haben. Kalte Platte zeichnet in grellen Farben das Bild einer Gesellschaft, die keine Obdachlosen mehr in ihren repräsentativen Einkaufspassagen dulden will: Wer „geschäftsschädigend“aussieht oder schon durch seine bloße Existenz die Schönrednerei der Politiker Lügen straft, muß aus der Innenstadt verschwinden. Verschickungsort ist eine ghettoartige Palettenstadt mit dem zynischen Namen „Schöner Wohnen 2001“. Um die Schein-Welt auf die Spitze zu treiben, werden die Obdachlosen von einem Platzwart „betreut“, der für Recht und Ordnung sorgt – besonders am Besuchstag.

Der Regisseur René Harder, Student der Regieklasse am Institut für Theater, Musiktheater und Film der Universität Hamburg, betreut auf Wunsch des Vereins nach Pension Sonnenschein bereits dessen zweite Produktion. Er sieht in dem Stück in erster Linie eine „bitterböse, plakative Farce“, eine „adäquate Reaktion auf die Politik“– etwa auf den FDP-Politiker Hans-Joachim Widmann, der im Frühjahr 1997 die Einführung einer Bettler-Steuer in Hamburg vorschlug.

Die Zusammenarbeit mit Menschen, die seit langem keinen geregelten Tagesablauf mehr kennen, war nicht immer einfach. So gab es in der siebenmonatigen Vorbereitungszeit keine einzige Probe, bei der alle Darsteller anwesend gewesen wären. Mehr als fünf verschiedene Varianten mußten geprobt werden, um noch am Abend der Premiere möglicherweise spontan umzubesetzen. Im Notfall wird Réné Harder selbst einspringen. Schließlich sind es gerade solche Sondersituationen, die ihn an dem Projekt reizen. Jenseits aller Diskurse über politisches und engagiertes Theater, will er die Realität ins Theater holen: „Authentische Geschichten berühren viel stärker.“

Sabine Claus

heute und morgen, jeweils 20 Uhr, TiK (Thalia in der Kunsthalle); danach kleine Norddeutschlandtour