Schneeweißchen und Rosenrot

■ Schönheit und Geld machen doch glücklich: „Strana Gluchich“ von Waleri Todorowski erzählt von einer lesbischen Liebe und von der Mafia – eine Moskauer Kriminalgeschichte

Das moderne Moskau kennt Tokio, Berlin und London. Aljoschas Wohnung ist geräumig und auf die coole Art ein bißchen heruntergekommen. Fernseher, Klamotten – alles eher knapp bemessen und beiläufig auf dem Fußboden verstreut. Aljoscha ist Spieler; leider verliert er meistens. In Moskau kann das – wie in London auch – tödlich enden. Rita ist ein Engel vor dem Fall und Aljoschas Freundin. Aljoscha läßt sie in einer Nachtbar mit einem Mafioso allein zurück, als Pfand, und verduftet. Yaya arbeitet in besagtem Nachtklub als Stripperin. Zwei plustrige Stofftäubchen zieren ihre Brust, bis Yaya sie zur Unterhaltung des Publikums davonflattern läßt.

Waleri Todorowskis vierter Spielfilm erzählt zu einem Viertel eine Krimi-Story und zu drei Vierteln die Geschichte einer Beziehung zwischen zwei jungen Frauen. Yaya fliegt aus dem Nachtklub, nachdem sie einen glotzenden Gast geohrfeigt hat. Yaya bringt Rita in Sicherheit. Yaya – ach, Yaya!! Sie ist sehr elegant mit ihren langen dünnen Gliedern, den schrägen Augen und kasachischen Wangenknochen. Sie ist exzentrisch, theatralisch bis ins letzte Haar ihres Louise-Brooks- Bobs, sehnsüchtig und außerdem sehr eifersüchtig. Sie spricht, wenn sie Lust hat, mit lauter, metallischer Stimme – sie ist taub. Rita bildet in diesem Ensemble aus Schneeweißchen und Rosenrot Yayas Konterpart: reine Lilie, heilige Hure, die alles tun wird, um ihrem Gauner von Liebhaber das Leben zu retten, sogar anschaffen.

„Das Land der Stille“, so der deutsche Titel, hat Yaya sich als Fluchtpunkt zurechtphantasiert: einen Ort, wo die Sonne scheint, es immer warm und grün ist, auf jeden Fall anders als in Moskau. Die Mafiosi und Zuhälter in Waleri Todorowskis Film heißen „Sau“ und sind ebenso taub wie Yaya, und wenn man mal auf einen trifft, der nicht taub oder stumm ist, so beherrscht und benutzt er doch die Gebärdensprache, als gäbe es keine andere. „Strana Gluchich“ würde einigermaßen absacken, gäbe es da nicht diese Idee einer durch und durch behinderten Gesellschaft. „Bist du nackt auch so geil?!“ gestikuliert ein Killer Rita entgegen. Es gerät zu einer einzigen aufgeregten Fuchtelei.

Das schäbige Bildhaueratelier, in dem sich Yaya und Rita vor der Mafia verstecken, ist der Rahmen, in dem sie vertraute Stereotypen festhalten und perfektionieren, sich aber auch an neue gewöhnen wollen. Die „schöne russische Frau“ erträumt sich die beschädigte Yaya – fürstinnengleich, „stolz und unnahbar“, weswegen sich Männer in Kaschmirmänteln umbringen. Eigentlich meint sie nur sich, das Wuschbild ihrer selbst. Der modische lesbische Subplot in „Strana Gluchich“ sorgt für den neuen Stereotyp. Gerade als Yaya und Rita vergnügt auf einer Brücke hüpfen und sich freuen, vielleicht lesbisch zu sein oder wenigstens werden zu können, finden die Männer – Aljoscha, die Mafia – ihr Versteck. Schönheit, Geld, Glück also. „Viel Geld, viel Glück!“, wird in diesen zwei Stunden oft versprochen. „Strana Gluchich“ ist ein moralischer Film, jedenfalls ein bißchen, obwohl Yaya nicht in der Sprachlosigkeit treibt – sie reitet die Welle wie ein selbstmörderisches Kind. Rita beginnt erst zu verstehen, als sie einem tauben Mafiosi als „Ohr“ dient, und um von Yaya verstanden zu werden und Yaya zu retten, muß sie deren lautlose Welt für immer teilen. Aljoscha hat Rita zur Hure gemacht; sie entschuldigt sich bei ihm – verrückt. Aljoscha haßt Rita dafür. Die Musik hört auf, doch Yaya tanzt weiter. Aljoscha wird sterben, doch Rita liebt weiter – nur nicht Aljoscha. Anke Westphal

Wettbewerb: heute, 9.30 Uhr, Royal Palast; 18.30 Uhr, Urania; 22.30 Uhr, International