Neuer Mut zum Leben

■ Beim Sommertheater Festival thematisiert die Bill T. Jones/Arnie Zane Dance Company mit Betroffenen Aids und Tod ohne Betroffenheitskitsch

Was geht im Kopf eines Menschen vor, im Augenblick, da er erfährt, daß er nicht mehr lang zu leben hat, daß seine Tage gezählt sind? Wer ist der, der die Nachricht überbringt? Wie sieht er aus? Wie, wenn überhaupt, läßt sich dieser Augenblick in Worte fassen, gar in Bewegung umsetzen? Genau das verlangte Bill T. Jones von den Teilnehmern der von ihm initiierten „Survival Workshops“, rund neunzig Personen jeden Alters, alle unheilbar krank. Der amerikanische Regisseur und Choreograph teilt die Erfahrung des Augenblicks, da der eigene Tod Gestalt annimmt, mit den Gruppenteilnehmern. Er selbst ist HIV-positiv und verlor vor einigen Jahren seinen langjährigen Lebensgefährten und Tanzpartner Arnie Zane an die Krankheit.

Jones zeichnete die Erzählungen und Bewegungen der Workshop-Teilnehmer auf Video auf und machte sie zum Ausgangsmaterial seines Tanzstückes Still/Here, das er in Zusammenarbeit mit der Video-Künstlerin Gretchen Bender und den Komponisten Kenneth Frazelle und Vernon Reid (von Living Colour) entwickelte. Die Bewegungsabläufe, in denen die Kranken ihren Gefühlen Gestalt verliehen, dienten den Tänzern der Company als choreographische Basis. Gleichzeitig wurden die Videodokumente der Workshops von Gretchen Bender in die Bühneninstallation integriert. Durch seine eigene HIV-Infizierung rückt Jones' Tanztheaterarbeit unvermittelt in die Nähe anderer amerikanischer Regisseure, die sich Aids zum Inhalt ihrer Arbeit wählten oder aber selbst Betroffene sind, wie Tony Kushners Angels in America oder die Stücke des jüngst verstorbenen Theaterregisseurs Reza Abdoh. In Amerika reagierten Kritiker mit heftigen Debatten auf diese Strömung innerhalb der Theaterszene und erklärten sie kurzerhand zur „victim-art“.

Eine Kunstrichtung würde sich etablieren, die man nicht ohne Betroffenheit und Mitleid zu verspüren ansehen könne, und die sich damit der Beurteilung entzöge, so die renommierte amerikanische Kritikerin Arlene Croce des Intellektuellen-Blattes New Yorker über Still/Here, die es bei dieser Aussage beließ und sich weigerte, das Stück anzusehen.

Solche Äußerungen richten sich wohl weniger gegen den Tod im allgemeinen als Thema der Kunst, denn das war er schon immer, als vielmehr gegen das Eindringen des „wirklichen Lebens“ in die hermetische Kunstwelt, die sich in der reinen Anschauung gefallen und als solche beurteilbar bleiben soll. Jones selbst versteht sich nicht als Opfer. Er möchte nicht das Sterben illustrieren: „Meine Absicht seit Beginn dieses Projektes war es, ein Werk zu schaffen, nicht aus dem Nachdenken über Tod und Verfall, sondern aus dem Reichtum und dem Mut, die notwendig sind, das Leben weiter zu leben.“ Inwiefern Still/Here auch als Kunstwerk bestehen kann und Jones und andere Künstler, die sich mit Aids/Tod beschäftigen, in der Lage sind die Etablierung eines fragwürdigen Genre-Begriffs abzuwenden, darüber entscheidet letztlich die Fähigkeit der Künstler. Petra Langemeyer

Do, 17.- Sa, 19. August, Kampnagel k6, 20.30 Uhr