Elmshorner Blitz ohne Eile

■ Anekdoten aus den Vorortzügen der A 1, A 2 und A 3 / Eine Erlebnisfahrt durch Hamburgs Randgemeinden im Holsteinischen mit Folke Havekost

Auf ländlichen Bahnsteigen rudern Menschen wild gestikulierend mit den Armen. Sie hüpfen hektisch auf der Stelle, rufen Unverständliches. Wird das ratternde Fortschrittssymbol halten und die Wartenden einlassen? Oder rast das Ungetüm – in gelb und orange – vorbei und läßt die Verlorenen in ihren Dörfern zurück?

Nicht, daß wir uns im Jahr 1835 bei der ersten Eisenbahnfahrt befänden. Solch dramatische Szenen spielen sich heute – so oder ähnlich – unweit unserer Haustür ab. Etwa in Bokholt, wo die Vorortbahn A 3 nur hält, wenn die Fahrgäste „sich dem herannahenden Zug rechtzeitig bemerkbar“ (HVV-Tip) machen – Schicksal einer Bedarfshaltestelle im Streckennetz der Hamburger Randgemeinden im Holsteinischen.

„Einige verstecken sich regelrecht hinter den Fahrkartenautomaten. Wenn die dann an die Bahnsteigkante gehen, können sie mich nur noch vorbeibrausen sehen“, weiß Triebwagenfahrer Otto und berichtet von den wahren Opfern Benettons: „In Bokholt gibt's 'ne Werbetafel, wenn die Leute sich da anlehnen, denkt man von weitem natürlich, die gehören zur Werbung dazu.“

Zwei Minuten vor Abfahrt aus der Stich-Stadt wirft der „Kutscher“ (Otto über Otto) seinen Diesel an – Warmlaufphase. Seit vier Jahren fährt er zwischen Elmshorn und Barmstedt „den Kuddel“, wie er die Linie nennt, die zwischen den Stationen durch weitgehend unbebaute Naturlandschaften führt. Antiklimax als Prinzip der Streckenregie: Friedhöfe, Einfamilienhäuser und Kornfelder. Dazwischen ertönen schrille Pfeifsignale, wenn kleine Dorfstraßen sich unbeschrankt zwischen die Bahntrassen werfen. „Pfeifen ist 'ne Sache von anno dazumal, besonders wenn man die Schallisolierung der Autos bedenkt, aber es ist halt zulässig“, bemängelt Otto die Sicherheitsvorkehrungen, die nicht gerade den Ohren der AnwohnerInnen schmeicheln. Mittelfristig soll es an den stärker frequentierten Übergängen Halbschranken mit Ampel geben, erklärt Jens Wrage von der HHA-Pressestelle. Doch wegen der Finanzierung liegt die AKN mit den Gemeinden im Clinch, so daß die Züge vorläufig weiter pfeifen, bevor sie an kleinen Bahnsteigen zum Halten kommen (oder auch nicht).

Bis 1994 hat Otto noch den Uerdinger gesteuert, der Passagieren noch despektierlich als „Hämorrhoidenschaukel“ in Erinnerung ist und der vergangenes Jahr dem modernen, U-Bahn-ähnlichen VT 2 E weichen mußte. Im alten Triebwagen konnte man die Sitzlehnen je nach Fahrtrichtung umklappen, die Fahrerkabine gehörte praktisch zum Abteil. „Früher waren wir zwölf Kutscher, die die Linie befuhren. Da gab's natürlich ein sehr herzliches Verhältnis zur Kundschaft. Das versinkt schon ein bißchen in die Anonymität“, erinnert sich Otto. Zeit war in den lauschig ruckelnden Wagen vorhanden, stand die ehemalige Bezeichnung EBOE (Elmshorn-Barmstedt-Oldesloer-Eisenbahn) doch auch für „Elmshorner Blitz ohne Eile“. Der Fahrplan ist verbessert, die neuen Züge schneller, aber die Aura des Baufälligen fehlt.

Dem charmanten Flair zwischen Tradition und Modernisierung setzen die beiden anderen Linien eigene Reize entgegen. Die A 1 als originale AKN-Bahn (Altona-Kaltenkirchen-Neumünster), 1884 gegründet, um gestochenen Torf schnell von Quickborn nach Altona zu transportieren, ist als Vorhut der letzten überlebenden Kleinbahnen Gegenstand eigenwilliger Betrachtungen zwischen Stolz und Selbstironie, und Geduld: Weidende Pferde überbrücken in Bönningstedt die minutenlange Wartezeit auf dem eingleisigen Streckenabschnitt, bis der Zug aus der Gegenrichtung vorbeigelassen ist.

Die stählerne Blume der Vorortbahnen ist die A 2, die einst den hübschen Namen Alsternordbahn (ANB) von Ochsenzoll nach Ulzburg und zurück trug. Friedrichsgabe, Meeschensee, Henstedt-Rhen – hinter Norderstedt taucht die A 2 ihre Fahrgäste in so sattes Grün, daß der naturbedürftige Stadtmensch sich nach einer Ringlinie zu sehnen beginnt – Umkreise doch, du bleibst so schön... Doch zurück zum Ernst des Bahnfahrens. Denn ein Makel bleibt auch auf der Alsternordbahn: Haslohfurth ist Bedarfshaltestelle! Hier weiß Kutscher Otto Rat: „Besonders im Winter, wenn's schon früh dunkel wird, wär 'ne kleine Leuchte nicht schlecht“, empfiehlt er, aber „ins Licht stellen reicht aber auch!“