Sklavenhalter und Kuriere

■ Manchester-Kapitalismus in Hamburg-West: StadtbotInnen demonstrierten gegen Rausschmiß und Knebelverträge Von Marlene Reimers

„Einmal zuviel gedacht – gekündigt.“ Ralf Rapp, bis vor kurzem Fahrer beim Kurier-Dienst Stadtbote GmbH, demonstriert seinen Zorn über Knebelverträge und Rausschmiß auf einem Kopfkissenbezug, den er zum Hemd umfunktioniert hat. Gestern morgen machten StadtbotInnen vor dem Firmengelände ihrer Muttergesellschaft Hansetrans auf den Streit aufmerksam, der sich zwischen Kurieren und Geschäftsleitung immer mehr zuspitzt. Mit der Forderung „Schluß mit den Sklavenhalter-Verträgen“ prangerten sie ihre Scheinselbständigkeit an.

Unterstützung kam vom Dachverband Hamburger Kurierfahrer (DHK); auch schauten FahrerInnen anderer Kurierunternehmen vorbei, um Solidarität zu bekunden: „Ihr seid nicht allein“, ermutigte ein Transparent der Freien Kuriere e.G. Aus einem Autoradio ertönten die Prinzen: „Du mußt ein Schwein sein in dieser Welt...“

Was war passiert? Im Frühjahr hatten mehrere StadtbotInnen eine Fahrervertretung gegründet. Der Verein wollte ein Konzept erarbeiten, das die Rechte der als Subunternehmer angeheuerten FahrerInnen gegenüber der Zentrale stärkt. Als sich die organisierten FahrerInnen endlich ins Vereinsregister eintragen lassen wollten, wurden die sechs VorständlerInnen geschaßt. Anderen wurde mit Kündigung gedroht. „Viele lassen sich einschüchtern, weil sie nicht arbeitslos werden wollen“, klagt Vorsitzende Anja Rohweder. Dazu wollte Stadtboten-Geschäftsführer Kunz gestern weder vor Ort noch telefonisch Stellung nehmen.

„Was hier läuft, ist vorsintflutlich“, ärgert sich Enno Knigma vom DHK. Die bei der Stadtboten-GmbH üblichen Subunternehmerverträge „halten die Fahrer in einer Abhängigkeit, die weit über die eines Angestellten hinausgeht“. Zudem müssen sie selbst für ihre Sozialversicherungsbeiträge aufkommen. An die Zentrale muß jedeR neben Aufnahmegebühr und Kaution für die Funkanlage eine monatliche Pauschale von 1050 Mark (Biker ungefähr die Hälfte) entrichten – unabhängig vom tatsächlichen Umsatz. „Zieht man noch Steuern und Spritkosten ab, so bleibt für die meisten netto nicht mehr viel übrig“, erzählt einer der abgestraften Vorständler. „Rentenversichert ist hier keiner.“

Auf Preise, Rabatte, Auftragsvergabe und Funksystem haben die FahrerInnen keinen Einfluß. Einhellige Meinung unter den StadtbotInnen ist, daß unter falschen Verheißungen – hohe Umsätze, Unabhängigkeit – zu viele Fahrer angeworben werden, die dann zu Rivalen um die Touren werden. Die Firma streicht die Pauschale so oder so ein, „jeder muß sehen, wo er bleibt“.

Juristisch ist das Subunternehmersystem, mit dem Angestelltenverhältnisse umgangen werden, immer noch Grauzone. Daß es auch anders geht, beweisen die Genossenschaft der Freien Kuriere sowie das „Hamburger Modell“ der Funkpiloten, die sich im Februar 1993 zu einen Verein zusammentaten. In einem Kooperationsvertrag mit der FuPi-Zentrale ist ihre Gleichberechtigung und Mitbestimmung geregelt – davon können die Stadtboten derzeit nur träumen.