Transformation ist der Motor

■ Sommertheater: Fazit der öffentlichen Proben von GR AS 888

Was bedeutet es, den Tanz und die Musik mathematischen Operationen zu unterwerfen? Freiheit, sagen der Tänzer und die Tänzerin Arthur Stäldi und Renate Graziadei und der Musiker K.H. Schöppner. Im Zusammenhang mit ihrem Labor GR AS 888, in welchem GRaziadei und Arthur Stäldi in wechselnder Zusammenarbeit mit anderen Künstlern nach neuen Impulsen für den Tanz suchen, wurde die Idee zu dem Projekt Prime 71 geboren, das im Rahmenprogramm des Sommertheaters mit Schöppner verwirklicht werden konnte. Eine Woche stand den Dreien die Halle 4 auf Kampnagel zu Verfügung, wo sie in täglichen öffentlichen Proben das Publikum an der Entwicklung ihrer Idee teilhaben ließen.

K.H. Schöppner, früher Rock- und Popmusiker und eher mit Klängen und Rhythmen beschäftigt, die ins Herz und in die Beine zielen, begab sich für dieses Projekt auf neue Ebenen kompositorischer Anreize. Per Computer speiste er ein Playerpiano mit Klanginformationen und Tonreihen, halbierte Taktzeiten, verdoppelte Phrasen, verschob Tonhöhen und baute so systematisch eine Komposition zusammen.

Stäldi und Graziadei extrahierten dazu Armgesten aus einer Zufallsauswahl von Begriffen, die sie zuvor erdachten Geschichten entnahmen. Sie übertrugen diese auf den ganzen Körper und setzten daraus das Mosaik einer gemeinsamen Bewegungsfolge zusammen. Diese Arbeitsweise ähnelt der Kollaboration, die John Cage und Merce Cunningham einst durchführten.

Transformation ist der Motor. „Wir improvisieren nicht. Wir versuchen uns frei zu machen davon, in gewohnte Muster zu fallen. Die mathematischen Herangehensweise eröffnet mir ganz neue Dimensionen des Choreografierens“, erläutert Stäldi. Schöppner, Initiator dieses Projektes, will, ganz wie seine Musik, einen Tanz, der frei ist von Gefühlen und sonstigen bedeutungsschweren Inhalten: „Der Tanz soll das transportieren, was er ist“.

Für ihn gestaltete sich das sicher einfacher als für die Tänzer. Sein Piano steht verlassen in der Mitte des Raumes, gespielt von unsichtbarer Hand, während die Tänzer angesichts des Publikums mit Geist- und Körpergrenzen kämpfen. „Es hat etwas gedauert, bis wir uns von dem Druck befreit hatten, etwas vorführen zu müssen. Doch danach hatten wir hier eine wunderbar konzentrierte Arbeitsatmosphäre“, beschreibt Renate Graziadei den Prozeß.

Immer wieder tanzen die beiden ihre raumgreifend plastische Bewegungssequenz, hier und da berühren sich Töne und Körperimpulse, nicht zwingend, aber auch nicht zufällig. Und damit verwandelten sie den Ort eine Woche lang zu einem Platz inspirierender Konzentration. Einige Besucher kamen dann auch mit Block und Zeichenstift und ließen sich zu kalligraphischen Schwüngen anregen, andere stimmten sich hier, abseits des Trubels, auf die abendlichen Vorstellungen des Festivals ein.

Die Fortführung des Projektes ist aus bereits gewohnten Gründen, kein Geld, kein Raum, ungewiß.

Irmela Kästner