Wenig geliebte Elbinsel

■ Die Geschichtswerkstatt Wilhelmsburg lud zur Barkassenfahrt

In sengender Hitze fand sich Samstag mittag ein Grüppchen Schwitzender bei den St.-Pauli-Landungsbrücken ein. Die vorwiegend in Blumenkleider gehüllten Damen jenseits der Fünfzig machten den Eindruck, Teilnehmer einer Kaffeefahrt zu sein. Aber der Schein trog.

Die Fahrt wurde von der Geschichtswerkstatt Wilhelmsburg initiiert, um über die Geschichte des von Hamburg etwas ungeliebten Stadtteils zu berichten. Schnell sind die wenigen schattigen Plätze an Deck verteilt, und man hält Kurs auf den Reiherstieg. Diese Wasserstraße diente schon vor der Indu-strialisierung, als Wilhelmsburg noch die Insel der Milchbauern und Schiffszimmerer war, als Handelsweg, um die selbsterzeugten Viktualien auf Hamburgs Märkte zu befördern.

Das Bild, das man sich heute von Wilhelmsburg macht, hat wenig mit bäuerlichen Idyllen zu tun. Es ist geprägt von den Folgen der Industrialisierung, die ab 1850 dem Stadtteil ihren Stempel aufdrückte. Damals setzte ein reger Bauboom ein. Neue Industrien siedelten sich an, neue Hafenbecken entstanden, neue Arbeitskräfte wurden benötigt.

Auch dies läßt sich auf der Barkasse erfahren: Wilhelmsburg machte früh seine Erfahrungen mit Migrationsbewegungen. Vorwiegend aus Polen und Schlesien kamen die Fremdarbeiter, um sich auf der Elbinsel ihr Brot zu verdienen. Die Sprache der Zugereisten, vor allem aber ihr katholischer Glaube, sorgte für Zündstoff. Prügeleien und Ausschreitungen zwischen Einheimischen und Zugezogenen waren an der Tagesordnung. Erst 1906, als die örtlichen Betriebe bestreikt wurden, formierte sich Solidarität zwischen Neu- und Altwilhelmsburgern. Heute zeugen noch die Namen im Wilhelmsburger Telefonbuch von dieser Einwanderungswelle. Der polnischen Sprache sollen einige der älteren Einwohner auch noch mächtig sein.

Wir biegen in den August-Schnittke-Kanal. Leider nur ein Stück weit, denn die Schleusenwärter haben Wochenende. So bleibt unserer Barkasse der Zugang zu den meisten Wasserstraßen Wilhelmsburgs verwehrt.

Vor unseren Augen öffnet sich das Bild eines malerischen Flußlaufes, den man so im Hamburger Hafen nicht erwartet hätte. Optisch ein schöner Eindruck. Sofort beginnt man, den Himmel nach den Kormoranen abzusuchen, die hier nisten sollen. Olfaktorisch leider ein Reinfall, stechender Geruch macht sich breit. Auch an dieser Stelle hat die Industrie Wilhelmsburg ihren Stempel aufgedrückt. Dabei, so erzählt eine ältere Mitausflüglerin, habe sie hier in den 40er Jahren noch schwimmen gelernt.

Petra Langemeyer