Kinder, Perlen und Wiegenlieder

■ Sommertheater (II): „EnDança“ hart am Rande des Kitsches

Samstag abend beim Internationalen Sommertheater-Festival auf Kampnagel, in den Hallen steht die Hitze. Unter dem sachten Rascheln und Zischeln unzähliger Papierfächer, die meisten von ihnen ein Promotions-Geschenk einer bekannten Zigarettenmarke, präsentiert EnDança, ein – laut Pressestimmen das – brasilianische Tanzensemble unter der künstlerischen Leitung von Luiz Mendonça, zwei Stücke: Zunächst Factual, dann A necessidade de se estar onde se está (Von der Notwendigkeit, da zu sein, wo man ist).

Das Gewirr von schmalen Stahlstangen auf der Bühne entpuppt sich bei Beginn der Vorstellung als Arrangement von hängenden Taschenlampen. Zwischen ihnen toben vier Frauen herum, jagen sich, lassen Schulhofatmosphäre aufkommen. Zurufe und Befehle, Ausrufe, gekeucht und hervorgestoßen, untermalen den Energieaufwand, die gespielte Verzweiflung über die Mühe, deren Zweck sich Außenstehenden meist weder beim Kinderspiel auf dem Pausenhof noch beim aktuellen Treiben auf der Bühne so recht mitteilen will. Aber das tut nichts zur Sache: Auftritt eines Trios von rund fünfjährigen Kindern, die den wirbelnden Frauen natürlich die Show stehlen. Die Kleinen verbreiten Chaos, heben in ihrer Tapsigkeit gleichzeitig die relative Eleganz der Tänzerinnen hervor. Ein Junge flüstert einer Solistin ins Ohr: „Du kannst gar nicht tanzen!“ So befand beim Pausengang auch ein großer Teil des Publikums; eine Stimme: „Das waren offenbar die Aufwärmübungen.“

Die Necessidade, choreographiert vom Portugiesen Rui Horta, sonst künstlerischer Leiter des Frankfurter S.O.A.P. Dance Theatre, ist vielschichtiger. Zu Ausschnitten aus Johann Sebastian Bachs Matthäus-Passion sowie dem Konzert für zwei Violinen, Streicher und Cembalo formieren sich die nunmehr fünf Frauen zu Bildern von weiblicher Freundschaft und Solidarität, von Neid und Eifersucht. Leicht klischiert die Accessoires Pumps und Perlenkette, aber ausdrucksvoll der Umgang damit, wenn wütend die eine der übermütig lachenden anderen den Schmuck vom Hals reißt; hart am Kitsch entlang die Duette voller Zärtlichkeit, dennoch sind sie die schönsten Szenen.

Eindringlich, manchmal aufdringlich die Situationen, da eine aus dem Reigen ausbrechen will und von den anderen liebevollst in die Gemeinschaft zurückgeführt wird. Bachs Musik, abgesehen vom unweigerlich sich einstellenden Feiertags-Effekt, scheint eine Nummer zu groß für die fünf Tänzerinnen. Am sympathischsten sind sie ganz zu Anfang und ganz zum Schluß der Necessidade; dort singen sie ein portugiesisches Wiegenlied. Ulrike Winkelmann