„Arbeitslosigkeit: Das ist Sprengstoff“

■ Fast fünf Millionen Menschen sind in Deutschland arbeitslos gemeldet, in Bremen stieg die Arbeitslosenquote im Januar auf Nachkriegsrekord. Ab April sitzt Bremens Arbeitsstaatsrat Arnold Knigge im Vorstand der Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg. Erstes Ziel: Private Arbeitsbeschaffungsagenturen sollen Langzeitarbeitslose vermitteln

taz: Herr Knigge, Sie sitzen ab dem 1. April im Vorstand der Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg. Welche Vorteile hat Bremen davon?

Arnold Knigge, Staatsrat für Arbeit: Ich bin als Vertreter der Länder im Vorstand, deren Interessen ich insgesamt vertreten muß. Für Bremen sehe ich den Vorteil darin, daß den Vorstand Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt frühzeitiger beschäftigen als die Verwaltungsratsebene. Damit hat Bremen einen Zeitvorteil. Hinzu kommen andere ausgesprochen wichtige Aufgaben. So wird der Haushalt im Vorstand aufgestellt. Da wird also festgelegt, wie die 108 Milliarden Mark für dieses Jahr verplant werden.

Wie ist der Vorstand besetzt? Welche Einflußmöglichkeiten hat der Einzelne?

Der Vorstand besteht aus neun Mitgliedern und ist drittelparitätisch besetzt. Drei Mitglieder stellen die Gewerkschaften, drei die Arbeitgeberseite und drei die öffentliche Hand. Letztere setzt sich zusammen aus einem Vertreter des Bundes, einem Länder- und einem Kommunalvertreter.

Ihr konkreter Einfluß ist also eher gering. Dennoch – welche Vorhaben wollen sie in Nürnberg durchsetzen?

Als Bremer kann ich sehr gut unsere Erfahrungen einbringen, die wir als Stadtstaat haben. Die Probleme zeigen sich vor allem in der Arbeitsmarktpolitik hier deutlicher als in den Flächenstaaten. Wir wissen zum Beispiel durch die spezifische Situation hier in Bremen, in welchem Ausmaß die Lanzeitarbeitslosigkeit auch das Sozialamt betrifft. Und deshalb ist mein Anliegen, über die Bundesanstalt die Möglichkeiten der Kooperation zwischen Arbeits- und Sozialamt sowie den einzelnen Ländern auszuweiten und zu verstärken. Die Kassen sind in allen Ländern knapp, und wir können es uns nicht leisten, nebeneinander zu agieren. Hier müssen wir stärker kooperieren – im Interesse der Langzeitarbeitslosen.

Wie soll ein solches Modell in der Realität aussehen?

Das könnte zum Beispiel so aussehen, daß verstärkte Vermittlungsbemühungen für Langzeitarbeitslose – sei es im Sozialhilfebezug oder mit Arbeitslosenhilfe – gemeinsam organisiert werden oder daß man eine Agentur damit beauftragt. Es kann nicht jeder seinen eigenen Weg gehen – mit eigener Infrastruktur, mit eigenen Regiekosten. Besser ist es, sich auf eine Vermittlungsagentur und einen Bewerberpool zu verständigen und dies dann auch gemeinsam zu finanzieren. Das ist alles auch im Rahmen der geltenden Gesetze möglich, fordert aber eine verstärkte Bereitschaft zur Kooperation. Dafür werde ich mich in Nürnberg ganz besonders einsetzen.

Warum hat sich Bremen noch nicht längst mit Niedersachsen zusammengetan und so eine Agentur installiert?

Im eigenen Land funktioniert das bereits. Wir haben seit langem zwischen Arbeitsressort, Sozial- und Arbeitsamt diese bewährte Zusammenarbeit. Die Mittel für alle Projekte, die mit Langzeitarbeitslosen geplant werden zur Beschäftigung oder Qualifizierung, fließen zusammen aus unterschiedlichen Töpfen. Mal sind das Projekte mit Sozialhilfe-Empfängern, die im Rahmen von BSHG-19-Stellen dort beschäftigt oder qualifiziert werden, mal sind es Mittel aus dem Europäischen Sozialfonds. Wir haben zudem seit Jahren einen gemeinsamen Vergabeausschuß, mit dem wir solche Projekte planen. Das sind alles positive Erfahrungen, die ich mit in die Arbeit in Nürnberg einbringen kann – für alle Bundesländer.

Diese Zusammenarbeit zwischen Sozial- und Arbeitsämtern ist in mehreren anderen Städten auf heftige Proteste gestoßen – unter anderem von alarmierten Datenschützern.

Niemand will, daß hier Daten illegal herumschwirren. Aber es muß doch möglich sein, daß ein Arbeitsamt und das kommunale Sozialamt in der Weise zusammenarbeiten, daß man konkrete Projekte planen kann. Ein Datenaustausch ist meiner Meinung nach rechtlich auch möglich.

Wäre das auch ein Schutz vor Mißbrauch?

Nein, um Mißbrauch geht es in diesem Zusammenhang nicht. Dafür hat Bundesgesundheitsminister Seehofer eine neue Verordnung nach dem Bundessozialhilfegesetz zum Austausch von Daten geschaffen, um solche Mißbrauchsfälle aufzuklären.

Zurück zu ihren Kooperationsprojekten – wie soll so etwas finanziert werden?

Das Arbeitsamt hat Möglichkeiten nach dem Sozialgesetzbuch, Lohnkosten zu übernehmen. Das Sozialamt hat die Möglichkeit nach dem Bundessozialhilfegestz Mittel bereit zu stellen – die sogenannten BSHG-19-Stellen. Und das Land hat die Möglichkeit, Geld aus dem Europäischen Sozialfonds ohne Restriktionen einzusetzen. Das ist in Bremen bereits Praxis. Bundesweit gilt es da noch einiges nachzuholen. Die Hamburger haben bereits so ein angesprochenes Agentur-Modell in die Tat umgesetzt. Dort wurden 5.200 Mark Prämie für jeden Arbeitslosen bezahlt, der nach sechs Monaten einen unbefristeten Arbeitsvertrag erhielt. Ein vergleichbares Modell wollen wir auch in Bremen mit Sozial- und Arbeitsamt machen.

Warum braucht man dazu eine private Agentur, die gewinnorientiert arbeitet? Läßt sich das Geld nicht besser einsetzen?

Eine private Firma kann sich viel stärker um die Akquirierung solcher Arbeitsplätze und um die Kontakte zu den Firmen kümmern. Die Vermittler in den Arbeitsämtern werden dagegen mit bürokratischer Arbeit zugedeckt. Allein die neue Meldepflicht alle drei Monate – das kostet enorme Arbeitskapazitäten bei den Vermittlern im Arbeitsamt. Dadurch sind sie im Nachteil gegenüber den Privaten.

Sollte die gerade erst eingeführte Meldepflicht wieder abgeschafft werden?

Auf jeden Fall – sie ist arbeitsmarktpolitisch völliger Unsinn und behindert die Vermittlungsarbeit in den Arbeitsämtern. Wir setzen uns auf Länderebene dafür ein, diese Drei-Monats-Frist wieder abzuschaffen. Vielleicht gelingt es in Bonn in Gesprächen zumindest, daß die Regelung im Gesetz etwas aufgelockert wird.

Gesetzesinitiativen gibt es zur Zeit zu den sogenannten 610-Mark-Jobs. Auch in Bremen steigt deren Anzahl rapide an und ist ein weiteres Problem auf dem Arbeitsmarkt. Was sollte dort unternommen werden?

Ich habe nichts dagegen, wenn sich Schüler oder Studenten ein paar Mark steuerfrei verdienen können. Ansonsten müssen wir dieses dringende Problem aber bundesgesetzlich lösen. Ich finde, man muß die geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse einschränken auf wirklich gelegentliche Nebenjobs. Dazu gibt es inzwischen auch schon Vorschläge der CDU/CSU, die sagen, wir senken die Grenze von 620 auf 250 Mark. Das wäre ein großer Schritt. Spätestens nach der Wahl muß das Problem gelöst werden. Das ist Sprengstoff.

Gibt es noch weitere Projekte für ihre Vorstandsarbeit, die sie abschaffen oder anstoßen wollen?

Stark darauf achten werde ich, daß bei der Verteilung der Mittel die Länderinteressen ausreichend gewahrt bleiben. Das ist jedes Jahr ein neuer Kampf, wie nun die Mittel für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen oder etwa für Weiterbildung auf die Länderebenen weiterverteilt werden. Da gibt es sehr unterschiedliche Interessen. Wir haben in Bremen zum Beispiel eine hohe Langzeitarbeitslosigkeit. Also habe ich ein Interesse daran, Mittel für die entsprechenden Programme freizuschaufeln.

Arbeitsamtsdirektor Hawel will die Arbeitslosenquote von jetzt fast 50.000 Personen bis Mitte des Jahres auf unter 40.000 drücken. Ist das realistisch?

Ich hoffe das sehr. Das hängt aber stark von der Großwetterlage ab. Wenn die Binnennachfrage stärker anzieht und dadurch die Privatinvestitionen anspringen und wenn uns dann der Export nicht noch zusätzliche Probleme bereitet durch den Crash in Süd-ostasien, dann ist eine Verbesserung denkbar. Aber selbst ein Wirtschaftswachstum von zwei oder drei Prozent wird die Probleme auf dem Arbeitsmarkt nicht lösen.

Dennoch wird sich Wachstum nicht negativ auswirken. In Bremen soll dafür das Investitionssonderprogramm herhalten. Daraus sollen für fast eine Milliarde Mark die fragwürdigen Projekte Space- und Ocean-Park finanziert werden – mit nicht einmal 1.000 Arbeitsplätzen. Ist das nicht die totale Subvention von Arbeitsplätzen? Kann man das Geld nicht sinnvoller einsetzen, um mehr Arbeitzsplätze zu schaffen?

Wir sind in Bremen in der glücklichen Lage, daß wir unser Investitionsvolumen nicht abbauen – im Gegensatz zu den anderen Bundesländern. Ich sehe zudem nicht, daß wir uns von Space- und Ocean-Park verabschieden sollten.

Würden Sie in Nürnberg tatsächlich anderen Ländern Projekte empfehlen, mit denen für eine Milliarde Mark keine 1.000 Jobs geschaffen werden?

Es wäre verhängnisvoll, wenn die öffentlichen Investitionen aufgrund der Haushaltssituation zurückgingen, weil damit die Arbeitsmarktentwicklung noch weiter gedämpft wird. Und Space- und Ocean-Park sind Investitionen in einen Zukunftssektor. Bremerhaven hat die große Chance, sich als Tourismusstandort zu profilieren. Ich bin sicher, da steckt noch viel Musik drin.

Wo sehen Sie weitere Entwicklungsmöglichkeiten in Bremen?

Wir müssen den Dienstlei- stungsbereich stärken. Der Bau der Messehallen war zum Beispiel ein richtiger Schritt in diesem Zusammenhang. Wir müssen das Multi-Media-Zentrum in Horn weiter entwickeln. Und wir müssen die Ansiedlung von Call-Centern weiter forcieren. Da steckt viel Arbeitsplatzpotential drin. Hinzu kommen die wichtigen Betriebe, die bereits heute den Standort stärken – wie etwa die Dasa oder Mercedes-Benz.

Das bezieht sich alles auf den ersten Arbeitsmarkt. Sollte nicht auch der zweite, der öffentliche Sektor ausgebaut werden?

Der öffentliche Bereich wird in den nächsten Jahren seine große Bedeutung behalten müssen. Deshalb ist auch mein klarer Ansatz, daß wir für die Bundesanstalt für Arbeit eine entsprechende Ausstattung brauchen. Und daß der Bund dort eine wichtige Aufgabe mit der Finanzierung der Arbeitsmarktpolitik hat. Ich wünsche mir dort eine bessere finanzielle Ausstattung. Um auf Ihre Eingangsfrage zurückzukommen: Bremen kann in der Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg viel erreichen. Das will ich in den kommenden sechs Jahren anpacken.

Fragen:

Beate Willms/Jens Tittmann