Schein und Wirklichkeit

Auf einer Ausstellung in der amerikanischen Harvard-Universität präsentierte sich Berlin. Die Realität und die Schwierigkeiten der Hauptstadt-Planung blieben unerwähnt  ■ Von Uwe Rada

Der Student aus Harvard konnte sich richtig begeistern. Damals, an der Bernauer Straße, als die Mauer gefallen sei, habe er gedacht, man müsse alle nach Harvard einladen, um über die Zukunft Berlins zu diskutieren. Daß nun so viele Berliner hier seien, finde er hervorragend. „Das ist das größte Ereignis in Harvard seit Jahren“, rief er den Podiumsteilnehmern und Zuhörern zu.

Doch diese emphatisch vorgebrachte Meinung teilten nicht alle Zuhörer der Berlin-Konferenz in Cambridge. Eine Studentin, die ihr an der TU Berlin begonnenes Studium nun in Harvard fortsetzt, war von der Berliner Präsentation eher enttäuscht: „Das ist nicht das Berlin, das ich kenne“, sagte sie. Ihr Berlin, das seien die Freiräume für Künstler und Lebenskünstler, die Cafés in der Spandauer Vorstadt oder das Tacheles.

Enttäuscht waren die meisten Besucher der Konferenz auch über die Ausstellung in der Graduate School of Design, in der die Konferenz stattfand. „Von der größten Baustelle Europas zur Hauptstadt des 21. Jahrhunderts?“ hatte Wilfried Wang, Direktor des Deutschen Architekturmuseums in Frankfurt am Main, seine Berlin- Schau betitelt.

Der ambitionierte Anspruch Wangs fand sich in den ausgehängten Plänen, Fotos und Texten der Ausstellung aber ebensowenig wieder wie das Fragezeichen am Ende des Titels. Die selbstkritische Diskussion, wie sie seitens der amerikanischen Teilnehmer von den Berliner Akteuren auf der Konferenz immer wieder eingefordert wurde, zeigte Wang wenig. Kernstück der Berliner Ausstellung bildeten zwei hochumstrittene Bereiche der jüngsten Stadtentwicklung: die städtebaulichen Entwicklungsgebiete wie an der Rummelsburger Bucht, der Wasserstadt Oberhavel oder Biesdorf- Süd sowie das Planwerk Innenstadt von Stadtentwicklungssenator Peter Strieder (SPD).

Zwar attestierte Wang dem Planwerk, allerlei kontroverse Debatten ausgelöst zu haben. Über die planerische und rechtliche Relevanz des Masterplans erfuhren die Ausstellungsbesucher freilich nichts. Jeder mußte daher glauben, daß der „Blueprint of Berlin“ bereits planerische Grundlage sei. Kein Wort auch von den finanziellen Schwierigkeiten der Entwicklungsgebiete. Im Gegenteil: Die Wasserstadt Oberhavel präsentiert sich nach wie vor als idyllischer und urbaner Ort zugleich, den man am besten mit dem öffentlichen Nahverkehr erreicht. Auch bei den anderen vorgestellten Projekten wie etwa dem Alexanderplatz ist keine Rede von den Schwierigkeiten, die die wirtschaftliche Talfahrt Berlins und der Einbruch des Immobilienmarktes mit sich gebracht haben. Auch unter der Regie eines Frankfurters blieb sich Berlin also treu: Bild und Wirklichkeit klaffen weit auseinander. „Es ist ja schön und gut, was in Biesdorf passiert“, kommentierte Harvard-Institutsleiter Charles Maier, „aber was passiert denn in der Stadt selbst?“

Allzuviel Aufmerksamkeit hat die Berlin-Schau, in der noch das DG-Bank-Projekt von Frank Gehry, das Kanzleramt von Axel Schultes und der Reichstagsumbau von Norman Foster gezeigt wurde, ohnehin nicht erregt: Aufgrund mangelnder Vorankündigungen und Werbung blieben die Teilnehmer weitestgehend unter sich. Siehe Seite 13