Spülwasser aus der Dose

■ Wie groß ist Allah? Sind Araber in der Schule schlechter? Christophe Ruggias "Le Gone Du Chaaba" schildert die kulturelle Entwurzelung algerischer Einwanderer in Frankreich. Am Ende gilt dann doch: Früher war alles

Früher war alles besser – und wenn es nur das eher karge Leben in einer schlammigen Baracken- Siedlung am Stadtrand von Lyon Mitte der Sechziger war. Genau dort in Chaãba lebte der neunjährige Omar (Bouzid Negnoug) zusammen mit seiner und anderen Familien, die alle aus dem algerischen Dorf El Ouricia nach Frankreich gekommen sind.

Die Häuser sind hastig improvisierte Schuppen, fließendes Wasser kommt nur aus einer Pumpe, das einzige Klo ist ein Verschlag, zu dem man das Spülwasser in einer alten Dose mitbringen muß, und Licht werfen nur Funzeln und wenige Taschenlampen. Ein tristes, aber auch behütetes Leben, denn hier sind die Algerier unter sich. Es gibt wenige Franzosen, zu denen man vielleicht Kontakt hat: Dann sind es Polizisten, die konsequent Recht und Ordnung durchsetzen, die Prostituierten, die die jungen Algerier mit ausgiebiger Haßliebe betrachten, oder der Lehrer, der seinen Schülern mit steifer Pädagogik „Frankreich“ einbleut. Nur langsam, ganz langsam bekommt die Fassade liebevoller Kindheitserinnerungen feine Risse. Als man schon glaubt, Christophe Ruggias Spielfilmdebüt sei einer dieser unterhaltsam- verkitschten „Schön war die Zeit“- Streifen und die akuten Probleme der algerischen Einwanderer in Frankreich hier zugunsten von Goldfischen, Fladenbrot mit Marmelade und jugendlichen Spannereien aus dem Drehbuch gestrichen. Nach und nach wird nämlich klar, daß „Le Gone Du Chaãba“ tatsächlich kulturelle und soziale Entwurzelung am historischen Epizentrum beschreibt. Omar wird von seinem Vater (Mohamed Fellag) aufgefodert, besser zu sein als alle anderen, besser als die Franzosen, um es im Leben zu etwas zu bringen, und damit in die Identitätskrise gedrängt. Da erhält er für gute Leistungen von seinem Lehrer ein Bildchen von Charlemagne („Dem Erfinder der Schulen!“) und das macht auch seinen Vater stolz. Andererseits belehrt der ihn prompt über die Größe und Bedeutung Allahs. Und Omars deutlich erfolgloseren algerischen Mitschüler werfen ihm vor, er sei kein Araber – denn Araber seien in der Schule viel schlechter.

Unverständnis und Bildungsgefälle hier, „Integration“, die nur auf korrektes Funktionieren der Zugereisten zielt, dort: Wenn die algerische Ansiedlung zerfällt, weil man sich anpassen will und man wegzieht aus Chaãba, träumt Omar, entfremdet und entwurzelt, noch davon, daß es besser wird. Aber in der lieblosen Plattenbau- Ansammlung, in die seine Familie umzieht, ist der soziale Sprengstoff schon gelegt. Und das Klischee stimmt dann doch – vorher war es besser. Thomas Klein

Panorama: heute, 21 Uhr, Atelier am Zoo