"Rot-Grün spätestens 1999"

■ SPD-Fraktionschef Klaus Böger: Grünes Reformprogramm diskussionswürdig, aber noch keine Koalitionsgrundlage. Gesellschaftliches Klima für einen Wechsel gemeinsam vorbereiten

taz: Wie regierungsfähig sind die Grünen?

Klaus Böger: Ich bin nicht der Richter, der das Gütesiegel „Regierungsfähigkeit“ erteilt. Über diese Frage entscheidet immer die Wählerschaft. Ich bin sehr dafür, nach der Legislaturperiode, spätestens nach 1999, eine neue Konstellation mit Rot-Grün hinzubekommen. Das setzt voraus, daß die Sozialdemokratie sich so festigt und profiliert, daß sie deutlich über dreißig Prozent der Stimmen gewinnt. Man muß eine gesellschaftliche und eine Wählermehrheit in der Stadt herstellen. Das bedeutet, daß wir der CDU und PDS Stimmen abnehmen müssen. Und es setzt bei den Grünen die Einsicht voraus, daß es wenig Sinn macht, der SPD Stimmen wegzunehmen. Das wäre ein Nullsummenspiel. Die Grünen haben ihr Wählerpotential. Das muß man verfestigen und sehen, daß man es hält.

Was halten Sie von dem Reformprogramm, das der Parteitag der Grünen vor zwei Wochen verabschiedet hat?

Es ist in vielen Sachbereichen nicht so substantiell, daß man sagen könnte, Donnerwetter, das ist ein wirkliches Reformprogramm für die schwer gebeutelte Stadt. Aber auch die SPD hat da noch Nachholbedarf.

Mit welchen grünen Reformvorschlägen stimmt die SPD denn überein?

In der Bildungs- und Hochschulpolitik gibt es bemerkenswerte Aussagen von Sybille Volkholz. Ihr Ansatz, daß qualitative Reformen auch ohne zusätzliche Gelder möglich sind, ist hochintelligent. Das ist politisch die absolut richtige Strategie. Sie forderte mehr Autonomie für die Schulen, eine neue Rolle der Lehrer und die Beteiligung der Eltern. Es gibt da Vorschläge, die hätte ich gerne in der SPD-Fraktion umgesetzt.

Gäbe es da Widerstand?

Ja natürlich. Manch einer in der SPD ist noch zu stark auf der Linie, zu sagen: „Mehr, mehr, mehr.“ Sybille Volkholz hat diese Woche im Salon von Walter Momper noch ein heißes Thema angeschnitten – den Akademikerfonds, in den Hochschulabsolventen bei einem bestimmten Einkommen einzahlen. Ich will auch keine Studiengebühren, ich will aber ohne Tabus über solche Dinge nachdenken dürfen.

Was finden Sie noch positiv an den grünen Vorschlägen?

Begrüßenswert ist der Ansatz, daß man in der Großstadt Berlin die Stadtteile stärkt und die Vernetzung von Initiativen – von Schulen, der örtlichen Wirtschaft, Mieterräten – unterstützt. Die Stadtteile müssen eine Corporate identity entwickeln. Wir sind in der Analyse einig, daß die sozialen Verwerfungen in Berlin die logische Konsequenz einer fünfzehnjährigen Politik der Kohl-Regierung sind.

Daß die Grünen einen ganzen Strauß von Maßnahmen für den zweiten Arbeitsmarkt haben, ist bekannt. Da bin ich eher skeptisch, weil ich eine Überbürokratisierung befürchte. Außerordentlich positiv finde ich, daß die Grünen weite Teile unseres Konzeptes der Inneren Sicherheit übernommen haben.

Zu einem gesellschaftlichen Stimmungswandel gehört, daß Alternativen vorstellbar sind. Ist das grüne Reformpapier eine Grundlage dafür?

Nur in Teilen. Die Grünen haben im Parteiensystem ihren festen Platz. Sie müssen allerdings parlamentarische Narreteien wie das Abstimmungs-Hickhack um das Gelöbnis lassen. Es setzt auch voraus, daß die Grünen ihre profilierten Persönlichkeiten nicht runterziehen, sondern nach vorne stellen.

Hätten Sie mit den Grünen einen Partner, mit dem manches einfacher wäre?

Das glaube ich nicht. Die Dinge sind so kompliziert, die gesellschaftlichen Verwerfungen und der Veränderungszwang bei allen so groß, daß in diesem Lande gar nichts einfach ist. Einfach ist es, bei einem Glas Rotwein zu diskutieren. Aber etwas umzusetzen ist heute schwieriger als vor zehn Jahren, und zwar in allen Parteien. Da muß man aufpassen, daß sich keine Negativkoalitionen bilden, auch in der SPD. Vielmehr muß ein Konzept entwickelt werden, das kein 80er-Jahre-Konzept ist, sondern ein Konzept für das Jahr 2000, wo man neue Herausforderungen ernst nimmt.

Das klingt so, als wären Ihnen die Grünen als Partner ganz recht, um Verkrustungen in der SPD aufzubrechen.

Sicherlich braucht die SPD Reformimpulse, und zwar Reformimpulse, die nicht an die 70er Jahre anknüpfen. Das geht nicht mehr. Wenn man einen Partner hat, der manches profilierter sagen kann, weil er kleiner ist, ist das eine positive Herausforderung. Aber leicht wird gar nichts. Und es wäre unmöglich, eine rot-grüne Koalition nach dem Muster von 1989 zu beginnen. Das habe ich als Abgeordneter im Fraktionsvorstand erlebt, und ich habe meinen Freund Ditmar Staffelt bemitleidet, weil die Koalitionsrunden manchmal bis in die Nacht gingen und einzelne, auch außerparlamentarische Gruppen der Grünen ankamen. Das wird nicht gehen.

So würden Sie es nicht noch mal machen?

Nein. Es gibt viele unangenehme rot-grüne Erfahrungen. Die rot-grüne Koalition in Berlin 1990 ist auch daran gescheitert, daß die Grünen den Zeitenwandel nicht verarbeiten konnten. Was mir als Schrecken in Erinnerung ist, ist das Kasseler Modell: Eine rot-grüne Mehrheit überzog die Straßen mit Pollern und Schwellen und wurde dann abgewählt. Wir müssen unseren Weg, wenn es so eine Chance gibt, auf anderen Gebieten, mit neuem Schwung und anderen Positionen finden.

Sie haben jetzt eine Reihe von Feldern angesprochen, wo die Ansichten nicht so weit auseinanderliegen. Ist Rot-Grün ein Modell, das auch im Herbst 1998 eine Rolle spielen könnte?

Ich halte nichts davon, auf ein Auseinanderbrechen der Großen Koalition zu spekulieren. Ich will, daß die Große Koalition ihre Aufgaben bis 1999 erledigt. Für die SPD ist es eine Chance, die Große Koalition mit Erfolg zu beenden. Da sehe ich den Wahltermin in 1999. Wenn er früher kommt, kommt er früher. Aber das sehe ich gegenwärtig nicht. Auch das grüne Reformpapier ist keine Grundlage, zu sagen: Leute, befreit euch aus den Fesseln der Großen Koalition, wir fangen im Herbst gemeinsam an.

Was kritisieren Sie an dem Papier?

Die finanzpolitischen Vorschläge sind relativ dünn. Richtig ist, daß Vermögensveräußerungen nicht zu vermeiden sind. Nur haben wir da einiges anders entschieden, als die Grünen wollten. Was die Bezirksreform betrifft, sind die Grünen vollkommen weggetaucht. Sie fordern ein Plebiszit, ohne zu sagen, worüber abgestimmt werden soll.

Von dem Schlagwort einer autofreien Stadt halte ich gar nichts. Das verschreckt eher. Ich bin für die Stärkung des öffentlichen Nahverkehrs. Da ist noch einiges zu tun, auch von der SPD-Seite aus. Und bei den sozialen Leistungen ist das Papier liebenswert, aber nicht zu finanzieren. Wenn die Grünen sagen, man muß bestimmte Gruppen unterstützen und dafür andere Gratifikationen abschaffen, dann sind sie auf der richtigen Fährte. Dann müssen wir uns nur darüber streiten, wo man etwas wegnimmt. Aber da ist auch die SPD nicht so windschnittig, daß wir schon eine Lösung hatten.

Wo sehen Sie Defizite bei den Grünen?

Die Grünen müssen lernen, daß Berlin als Hauptstadt bestimmte Standards einhalten muß. Ich habe mich zum Beispiel sehr geärgert, daß die Grünen nicht über die minimale Hürde gesprungen sind, daß öffentliche Gelöbnisse der Bundeswehr im Prinzip stattfinden können. Statt dessen kaprizieren sie sich viel zu häufig auf das, was nicht geht. Das reicht nicht. Wer regieren will, muß sagen, was geht, und nicht nur sagen, was nicht geht.

Wie soll konkret das gesellschaftliche Klima für ein rot-grünes Bündnis geschaffen werden?

Auf Parteiebene können zum Beispiel Foren veranstaltet werden, um Gemeinsamkeiten auszuloten. Die Hürden und Herausforderungen sind mit diesem Papier längst nicht erledigt. Aber da sage ich auch selbstkritisch, da müssen viele noch vieles beitragen. Interview: Dorothee Winden

und Gerd Nowakowski