■ Ökolumne
: Böse Spekulanten? Von Helmut Baisch

Überspekulation gilt seit der Weltwirtschaftskrise allgemein als Krisenverursacher. Spekulanten seien schuld an der Finanzkrise in Südostasien, meinen so auch viele Beobachter und Betroffene, zum Beispiel der malaysische Premier Mahathir. In weiten Teilen unserer Gesellschaft werden Spekulanten – vielleicht nicht ganz ohne Grund – als parasitär eingestuft. Für manche sind sie die Hefe im ökonomischen Teig, für viele aber eher die Made im Speck.

Spekulanten richten ihr Verhalten auf erwartete Preisänderungen aus. Wenn sich ihre Erwartungen erfüllen – egal ob es das Sinken einer Währung oder das Steigen eines Aktienkurses ist – erzielen sie Gewinne. Haben sie sich geirrt, erleiden sie Verluste. Ob sie auf diese Weise tatsächlich Krisen auslösen, ist allerdings fraglich. Denn übermäßige Spekulation muß irgendwie finanziert werden. Krisen treten erst auf, wenn die Financiers einer Spekulation Kredite auf der Basis falscher Bewertungen vergeben. Für Kreditgeber ist es nur allzu verführerisch, aus Ertragskalkülen heraus übermäßig Kredite zu vergeben, auch wenn diese nicht hinreichend gesichert sind. Die eigentlichen Krisenauslöser wären demnach die auf Umsatz bedachten Banken, die Spekulanten leichtfertig Geld geben.

Was aber ist solch eine falsche Bewertung? Die Frage ist gar nicht so einfach zu beantworten. Normalerweise bildet sich der Preis bekanntlich auf der Basis von Angebot und Nachfrage. Eine höhere Nachfrage läßt den Preis steigen und ein überschüssiges Angebot den Preis sinken. Aber gelten diese einfachen Mechanismen auch für Kapitalgüter?

Wohl nicht. Gäbe es eine einheitliche Bewertung, einen „richtigen“ Preis, dann könnte es ja keine Spekulation geben. Am Kapitalmarkt ist aber keine gleichgewichtige Bewertung möglich, weil nicht nur Angebot und Nachfrage, sondern vor allem das Risiko den Preis bestimmen. In einer unsicheren Welt sind finanzielle Sicherheiten knapp. Das Vermögen, das sich überhaupt zur Kreditsicherung eignet, wird tendenziell überwertet. Das heißt, sichere Immobilien oder relativ sichere Aktienpapiere werden sehr teuer gehandelt, teurer als es der dahinter stehende Wert rechtfertigen würde. So waren bis Anfang dieses Jahrzehnts die Immobilienpreise in Tokio hoffnungslos überbewertet – was dann den Spielraum für dramatische Abwertungen der Immobilienwerte schuf. Die Immobilien aber hatten als Sicherheiten für Kredite gedient, die zum Teil wiederum für Spekulationen an der Börse verwendet wurden. Weil durch den Immobiliencrash die Schuldner drohten, illiquide zu werden, waren schnell die Voraussetzungen für eine ausgewachsene Bankenkrise erfüllt. An dieser leiden die japanische Volkswirtschaft und ihre Börse heute noch. Zur Krise aber kam es nicht, weil zu viel spekuliert wurde, sondern weil die Sicherheiten übermäßig hoch bewertet wurden.

Gleich doppelt bringt die Überbewertung den Schuldner in die Klemme: zunächst, weil er mehr für die überteuerten Kapitalgüter, also zum Beispiel Immobilien, gezahlt hat, als er anschließend durch deren Bewirtschaftung einnehmen kann. So wird es für ihn schwierig, die Kredite abzubezahlen. Und zum anderen gerät der Schuldner in Zahlungsschwierigkeiten, wenn die Preise purzeln, weil er feststellen muß, daß die von ihm einst akzeptierte Überbewertung bei einem Verkauf nicht noch einmal durchzusetzen ist. Der Gläubiger ist in so einer Situation auch übel dran: Von seinen eigenen Schuldnern wird er in den Konkurs gestürzt, wenn diese zahlungsunfähig werden und ihre Sicherheiten längst entwertet sind.

Generell gilt also: Jede Überbewertung von Sicherheiten provoziert Bankenkrisen. Durch die südostasiatische Krise tritt dies wieder einmal deutlich zu Tage. Auch hier haben westliche Banken übermäßige Kredite vergeben. Voller Zweckoptimismus bewerteten sie die Unternehmen in den Tiger-Staaten und glaubten, hier starke Sicherheiten zu erkennen. Die Rückzahlungsfähigkeit der Schuldner aber ist angegriffen. Auch hier gilt: Die Spekulanten, die die Währungen der Krisenstaaten in den Keller trieben, sind nur insofern schuld, als die Banken ihre Schuld im doppelten Wortsinn finanziert haben.