Französischer Historiker im Zwielicht

■ An einem deutsch-französischen Forschungsinstitut in Berlin arbeitet ein Historiker, der die Existenz von Gaskammern geleugnet haben soll

Berlin (taz) – Eine Berliner Affäre schlägt in Frankreich hohe Wellen. „Ein revisionistischer Maulwurf in Berlin“, titelte gestern Le Monde, und Libération bezeichnete den Vorgang als „destaströs“: Der Historiker Gabor Rittersporn, der am deutsch-französischen Forschungszentrum Centre Marc Bloch in Berlin arbeitet, soll den Holocaust geleugnet haben. „Die Existenz der Gaskammern ist bis heute nicht bewiesen“, zitierte die Berliner Zeitung den französischen Forscher am Donnerstag. Etienne François, der Direktor des Zentrums, reagierte schnell. „Das ist eine ungeheuerliche, absurde und im übrigen auch strafbare Aussage, die wir schärfstens verurteilen“, erklärte er noch am selben Tag. Er habe das französische Außenministerium gebeten, „die notwendigen Konsequenzen zu ziehen“.

Gabor Rittersporn selbst weist die Vorwürfe zurück. Er habe der Berliner Zeitung gesagt, daß er inzwischen „vom Beweis der Existenz der Gaskammern ausgehe“, ließ er über seinen Anwalt Johannes Eisenberg verlauten. Denn „vor zwei oder drei Jahren“ sei in Frankreich „ein Buch erschienen, das den Nachweis der Existenz der Gaskammern dokumentiert“.

Unstrittig ist jedoch, daß Rittersporn im März 1980 als einer der Schirmherren das Erscheinen des Buchs „Historische Wahrheit oder politische Wahrheit?“ in Frankreich ermöglichte. Der Band war eine Streitschrift für Robert Faurisson, der als Kopf der französischen Holocaust-Leugner gilt. Als Herausgeber trat mit Serge Thion ebenfalls ein „Negationist“ auf, wie die Auschwitz-Leugner in Frankreich genannt werden. Die deutsche Übersetzung des Werks ist in der Bundesrepublik verboten und wird im Verfassungsschutzbericht von 1996 als in höchstem Maße gefährdend eingestuft.

Rittersporn teilte seine damalige Schirmherrschaft unter anderem mit Jean-Gabriel Cohn-Bendit, dem Bruder des grünen Europaabgeordneten. Rittersporn erläuterte am Donnerstag in einer schriftlichen Erklärung, er habe sich 1980 für eine wissenschaftliche anstelle einer juristischen Auseinandersetzung mit den Holocaust- Leugnern einsetzen wollen. Heute bedaure er aber, daß er Faurisson damit „zu einem größeren Publikum verholfen“ habe.

Die „Negationisten“ hatten sich jedoch immer wieder auf Rittersporn berufen, der 1948 in Budapest als Sproß einer jüdischen Familie geboren wurde, die Angehörige im Holocaust verloren hatte. Rittersporn habe sich „Ende der 80er Jahre gegenüber Herrn Faurisson verbeten, mich als sein jüdisches Alibi zu mißbrauchen“, teilte Eisenberg mit.

Rittersporn forscht erst seit dem 1. Januar 1998 am Centre Marc Bloch über den sozialen und kulturellen Wandel im Übergang von der Sowjetunion zum heutigen Rußland. Le Monde schreibt aber, bereits im vorigen November sei das Centre vom Cercle Marc Bloch in Lyon, das den Negationismus bekämpft, über Rittersporns Vorgeschichte ins Bild gesetzt worden. Dazu erklärte Centre-Direktor Francois, alle am Einstellungsverfahren Beteiligten hätten den Eindruck gewonnen, „daß Dr. Rittersporn mit den negationistischen Thesen seines früheren Umfeldes nichts mehr zu tun hatte“.

Um so größer sei die „Bestürzung“ über Rittersporns jetzige Äußerungen. An seiner Abberufung wird das Dementi nichts mehr ändern, hieß es. Ein Wissenschaftler in einer solchen Position dürfe keinen Anlaß zu Mißverständnissen geben. Das Zentrum ist nach einem Historiker benannt, der 1944 von der Gestapo als Widerstandskämpfer erschossen wurde.

Rittersporn wird also an das „Centre National de la Recherche Scientifique“ nach Paris zurückkehren. Dort sieht man keine Möglichkeit, einen Forscher wegen „ethischer Verfehlungen“ zu entlassen. Deshalb wird Rittersporn dort auch Serge Thion wieder antreffen, den Herausgeber des umstrittenen Buchs. Ralph Bollmann