Stuck den Hütten, Rotz den Palästen

Akademische Erkenntnisse über „Wohnen in Hamburg“sammelte  ■ Heike Haarhoff

Am Anfang, um 1850 muß es gewesen sein, waren die schlichten Bauten des Alltags. Einfache, große Wohnungen, geteilt von mehreren Familien. Später kamen die Villen in den Elbvororten mit ihrem Stuck und Plüsch; die „Erfindung des Industriezeitalters“, sagt der Hamburger Professor Hermann Hipp. Bauten für Reiche, die gleichzeitig für ihre Arbeiter bescheiden-funktionale Wohneinheiten nach dem Ideal der Kleinfamilie errichten ließen. Nicht, weil sie dieses Modell besonders geschätzt hätten, weiß Gerhard Fehl, Professor für Planungstheorie aus Aachen. Sondern weil so „der einzelne kontrollierbar wurde“: die Kleinwohnung als „Disziplinierungsmaschine“.

Den Ritt durch die Hamburger Wohnungs(bau)geschichte legten Stadtplaner, Architekten und Soziologen beim Symposium „Wohnen in Hamburg“am Sonnabend in der Hochschule für bildende Künste im Galopp zurück: Der Massenwohnungsbau der 20er und 30er Jahre a la Fritz Schumacher – in Hamburg backsteinrot. Nazi-Architektur, Zerstörung und Wiederaufbau, die funktionalisierenden Nachkriegsgrundrisse. Schließlich die 60er und 70er Betonjahre mit ihrer „zerstörerischen Langeweile“, klagt der Guru unter den Hamburger Architektur-Journalisten, Manfred Sack, „hingerotzt von innerlich Unbeteiligten“.

Und heute? „Wo stehen wir in der neuen Unübersichtlichkeit?“, bemüht der Stadtsoziologe Jens Dangschat den Philosophen Jürgen Habermas. Eine Antwort findet er nicht. Weil sich die Wohnwünsche der Hamburger immer schlechter ausmachen lassen. Weil sich „diese Stadt nicht durch Diskursfähigkeit auszeichnet“, weil „gemauschelt“werde und man gar nicht mehr wisse, ob das, was gebaut werde, „zukunftsweisend“sei. Was solle man noch zu Wohnbedürfnissen sagen in einer Stadt, die „die Sozialhilfe für Alleinerziehende kürzt“? Nicht zuletzt deshalb werde er, Dangschat, 49, Hamburg den Rücken kehren. Der publikumswirksame Soziologe folgt einem Ruf an die Technische Uni Wien.

Zornig über bürokratische Vorschriften ist Jos Weber, Professor für Stadtplanung an der HfbK (siehe Interview). Er provoziert: „Wer ein Haus bauen will, muß 25 Quadratmeter für ein Auto, 5 für einen deutschen Schäferhund und 3 für ein Kind nachweisen.“Und sein Kollege Hermann Hipp wirft ein, daß Architektur „nicht nur die Aufgabe hat, Behausungen zu schaffen, sondern auch Sozialiät zu organisieren“– durch viele Türen beispielsweise, die für „zahlreiche Begegnungen sorgen“.

Hierarchisierte Grundrisse sind deshalb out, es muß kostengünstiger und nutzungsgemischter gebaut werden; Frauen, beschließt die fast ausschließlich von Männern besetzte Rednerrunde, sollen stärker mitplanen dürfen. Klingt irgendwie bekannt. Und nun? Die Forscher wenden sich erschöpft ihrem Bier zu. „Bis nächstes Jahr“, grinst einer.