Die Helden der Schrottplätze

■ Internationales ADAC-Hallen-Motorradtrial in der Stadthalle

taz-Redakteure sind gemeinhin kompetent (nicht nur) in Sachen Sport wie Backöfen in Sachen Oberhemden. So war der Kulturabteilung der Begiff „Trial“bislang nur bekannt im Zusammenhang mit dem unvermeidlichen „error“. Um einen solchen schien es sich denn auch zu handeln bei jenem übermütigen Entschluß, den sechsten (von sieben) Europameisterschaftslauf des „Internationalen ADAC-Hallen Trials“zu verfolgen - übrigens der einzige in Deutschland. Denn im Oval der Stadthalle hatte offenbar ein Baumarkthändler seine Zelte aufgeschlagen. 15 Kabelrollen von 0,8 m bis 3 m Durchmesser waren zu einer erstaunlich einsturzsicheren Minibergsilhouette geschichtet. 20 Betonkanalrohre von 77 t Totgewicht schimmerten lieblich unter lila Beleuchtung. Und über wild gestapelte Europaletten wehte ein Hauch von Grün. Industriegebietschrott im Discofieber. Dazwischen Begonienbeete und ein kleiner Kunstwasserfall. Ein Bühnenbild für Beckett?

Auf einem sechs Meter hohen Gerüst vollführten mittelhübsche Mädchen kuriose Beinbewegungen. Wenn sie ermüdet waren, wuschelten sie rote und schwarze Hand-Wollknäultiere passend zum zuckenden DJ Bobo-und-Scooter-Sound ineinander. Man sagt, das seien gängige Bräuche unter Cheerleaders. Der Cheer blieb aus, doch zehn Motorradmutanten kamen, 280 ccm in möglichst wenig Gewicht verpackt: keine Rückspiegel, keine Blinker, kein Sattel. Der Traum aller TÜV-Geplagten, ein Traum von Freiheit. Auf den zähen Fußrasten standen passend zum Gerät gezüchtete Reiter, zart und durchtrainiert wie Jockeys. Und verdammt jung. „Für den Trial brauchst du die Bedenkenlosigkeit der Jugend“, erklärt Andreas Lettenbichler, deutscher Hallentrialmeister des vergangenen Jahres.

Und tatsächlich, nach dem ästhetischen Schock begannen die Wunder. Eine Minute 30 Sekunden hat beim Hallentrial jeder Fahrer Zeit, um einen widerlichen Hindernisparcour voller Schluchten und Barrieren zu überwinden. Sechs davon gibt es, jeder aus einem anderen Bauschrott. Es geht, so vermuteten wir, um die Überlebensfähigkeit in Zeiten der Mülltrennung. Zwei Eigenschaften scheinen dabei unverzichtbar zu sein : Perfekte Balance und ein sensibles Händchen für das Spiel von Kupplung, Gas und Bremse. Denn um aus dem Stand von einer Betonrolle zur nächsten zu hüpfen, muß ein gezielter Benzinstoß in den Motor gejagt – und ebenso schnell gestoppt werden. Fantastisch, besonders wenn man bedenkt, daß der normale Straßenfahrer nicht einmal über die Dosierungsgabe verfügt, die Richtgeschwindigkeit einzuhalten. Hoppla, schon wieder 50 zu schnell: für die Trialfahrer wäre solche Unachtsamkeit katastrophal. Neben der Fähigkeit zu hüpfen, beeindruckt die Meisterlichkeit im Hoppeln. Steht der Fahrer nämlich quer zum nächsten Hindernis, dann muß er seine Position optimieren, durch gezieltes Wippen in den (Feder)beinen. 90-Grad-Drehung auf einer rutschgefährlichen Betonröhre: kein Problem, wenn die Hoppeltechnik stimmt. Wenn sich das Hinterrad an einem Palettenende verkanntet, dann muß um das Gleichgewicht hart gerungen werden. Eine unscheinbare Tätigkeit, die aber viel Zeit frißt. Ellbogen und Knie kommen als Ausgleichsgewichte zum Einsatz, nicht hingegen die Zunge; zu leicht.

Um solche Wunder der Körperbeherrschung zu vollbringen, muß früh geübt werden. „Ich habe mit zehn Jahren angefangen“, erzählt Andreas Lettenbichler. „Die Mutter hat keine Angst um mich gehabt, die war froh, daß ich von der Straße weg war.“Und sonst? Fährt er Harley oder eine Duc? „Nichts. Auf der Straße ist es mir zu langweilig. Ein bißchen heizen, ein paar windige Kurven, das turnt nicht.“Seine Kollegen, erzählt er, halten es etwa zur Hälfte genauso. Angefangen hat er mit BMX-Rädern. Letztes Jahr, als es um die deutsche Meisterschaft ging mußte der 23jährige auf seinem 17.000 Mark-Gerät richtig rackern, im Moment trainiert er nur noch (???) dreimal die Woche und bald hört er auf: Vielleicht wegen des Dahinschwindens der Bedenkenlosigkeit, vor allem aber wegen dem Anmarsch eines zweiten Kindes. Als Familienvater hoppelt man durch die Berufswelt und nicht über Bauschutt.

Denn in Deutschland gibt es keinen Fahrer mit Profireife. „Hier ist die Sportart noch ziemlich unbekannt, in Spanien dagegen trainieren schon die kleinen Stepkes zu Hauf.“Deshalb erreichten bei diesem Europameisterschaftslauf nur die Fahrer aus England, Spanien und Frankreich die zweite Runde. Die vier deutschen Fahrer machten dafür den etwa 4000 Besuchern klar, wie schwierig die Parcours sind. Und tatsächlich bringt es viel mehr Spaß einem Andreas Lettenbichler beim Abrutschen und Eingeklemmtsein zuzuschauen als einem Steve Colley (Sieger), Bruno Camozzi (Zweiter) oder den Weltmeistern Doug Lampkin und Marc Colomer beim ewigen Gelingen. Schließlich schaut man sich auch keine Hollywoodfilme mit lauter Glück und Frieden an.

Eigentlich eine geniale Sache, wäre da nicht jenen schweigeunfähige Moderator gewesen. 156 mal adrenalingequält: „Jetzt müssen Sie helfen.“285 mal motivierungshysterisch: „Das sieht gut aus.“Der hält die Leute für blöd. Sie dafür ihn. B.Kern