Lustig sind die Depressionen

■ Lügen, Lieben und abstruse Mißverständnisse: „On connait la chanson“ von Alain Resnais

Was haben wir gelacht bei der Beerdigung! Bei Filmen von Alain Resnais liegt dieser eigentlich plattdeutsche Schnack nahe, weil er so schön die Stimmung der melodramatischen Komödien des französischen Regisseurs charakterisiert. Oder sind es komische Melodramen? Ich freue mich ja so, daß Sie auch unter Depressionen leiden, sagt Nicolas zu Camille, froh, endlich einmal jemanden gefunden zu haben, der die gleichen Krankheitssymptome aufweist wie er selbst.

Selten hat man sich über Depressionen, Ehekrisen, Lebenslügen und unglücklich Verliebte derart amüsieren können wie in „On connait la chanson“. Oder auch über den seit Jahren arbeitslosen Mann, der nach einem weiteren erfolglosen Vorstellungsgespräch beim Verlassen des Bürogebäudes direkt vor der Tür einen Friedhof vorfindet. Schnitt: vom Friedhof zur Arztpraxis – dort sitzt derweil sein Bruder Nicolas und wird ob der Versicherungen des Doktors, daß mit seiner Gesundheit alles zum besten stehe, immer nervöser. Die Mediziner wechselt Nicolas etwa so häufig, wie er Wohnungen besichtigt, die ihm dann wahlweise zu dunkel, zu hell, zu klein, zu groß, zu teuer, zu sonstwas sind – tatsächlich kann er einfach die Vorstellung nicht ertragen, mit seiner Frau zusammenzuleben.

In „On connait la chanson“ – das Drehbuch stammt von Agnès Jaoui und Jean-Pierre Bacri, den Darstellern von Camille und Nicolas – dreht sich alles um Schein und Sein, um abstruse Mißverständnisse, Lügen und Verstellungen. Die finden sich sogar buchstäblich in den Dekors von Jacques Saulnier wieder: So erweist sich der versprochene wundervolle Ausblick auf Sacre-C÷ur bei einer Wohnungsbesichtigung als so verbaut, daß Nicolas sich unter wilden Verrenkungen über die Balkonbrüstung beugen muß, um die Kirche überhaupt zu erblicken.

Im Zentrum des Films stehen die beiden Schwestern: Odile (Sabine Azéma), die erfolgreiche Geschäftsfrau im flotten roten Kostüm, sucht eine neue repräsentative Wohnung; Camille, das Mädchen im Schlabberlook, schreibt eine Doktorarbeit mit dem Titel „Die Freisassen am Lac Paladru des Jahres 1000“. Alles scheint auch prima zu laufen – doch ihr Gatte Claude (Pierre Arditi) trägt sich mit dem Gedanken, sie zu verlassen. Camille verheddert sich in einem Gestrüpp hochnotpeinlich- komischer Irrtümer, die ihre ganze Unsicherheit offenbaren, erleidet nach bestandener Prüfung noch im Hörsaal den ersten Depressionsanfall, und ihre Verliebtheit in den jungen Immobilienmakler Marc (Lambert Wislon) gründet auf einem Mißverständnis.

Wie sich am Ende bei Odiles Einweihungsparty dann doch noch (fast) alles zum Guten wendet, das besitzt märchenhafte Züge – eine Qualität, die den Filmen Resnais' nicht fremd ist. Gab der Regisseur in früheren Filmen oftmals das Raum-Zeit-Kontinuum auf, um Träume, Erinnerungen und Imaginationen in verschiedenen Realitäts- und Zeitebenen zu avantgardistischen Puzzles zusammenzusetzen, so wird die innerfilmische Realität in „On connait la chanson“ immer wieder durch die Verwendung von Chansonfragmenten aufgebrochen. Die Lieder erfüllen verschiedene Funktionen: Sie charakterisieren Figuren (dem Schnösel Marc wird Jacques Dutroncs „J'aime les filles“ in den Mund gelegt) oder entsprechen der Situation (wenn Claude mit Serge Gainsbourgs „Je suis venu te dire que je m'en vais“ darüber nachdenkt, Odile zu verlassen).

Seine Liebe zur Populärkultur (man denke an die Comics in „I Want to Go Home“) hat Resnais' Filme mittlerweile richtig populär werden lassen – in Frankreich ist „On connait la chanson“ zu einem Publikumsrenner geworden. Auf seine nächsten Arbeiten darf man sich schon jetzt freuen: Vielleicht verarbeitet der Regisseur dann ja einmal sein Faible für James- Bond-Filme. Lars Penning

Wettbewerb: heute, 20 Uhr, Zoo Palast; 17.2., 12.30 Uhr, Royal Palast: 21.15 Uhr, Urania; 18.2., 20 Uhr, International