Der diskrete Charme der Einsamkeit

Allein unter dem Bühnenhimmel: Was bleibt vom Menschen, wenn man ihm das Gegenüber nimmt? Einige notwendige Einwände und Anmerkungen zum Solotanz-Festival im Theater am Halleschen Ufer  ■ Von Katrin Bettina Müller

Was die einen an Tarzan begeistert, fasziniert die anderen an der Legende von Kaspar Hauser: die verblüffende Erkenntnis, daß Sprache, Denken und soziales Verhalten nur im Kontext von Beziehungen ausgebildet werden kann. Was vom Menschsein übrigbleibt, nimmt man ihm das Gegenüber, hat nicht nur Philosophen und Anthropologen beschäftigt, sondern auch die Tanzmoderne geprägt. Wie hat die Geschichte den Körper geschliffen, welche Ressourcen blieben ungenutzt, was hat die Konvention verschüttet? Diese Fragen lieferten oft den Stoff für Soloprogramme von den expressionistischen Anfängen bis heute.

Zu dieser Tradition der solistischen Pioniere hoffte das Theater am Halleschen Ufer einen Bogen zu schlagen mit einem Solo-Festival. Doch was als Ausblick auf ein bisher nicht erschöpftes Potential der Berliner Tanz- und Performanceszene geplant war, kam bisher über den bescheidenen Charme eines dilettantischen Wettbewerbs nicht hinaus. Die ökonomische Not zwingt viele Tänzer in eine einsame Arbeit, weil sie die Mittel für eine Gruppe nicht aufbringen können; doch die Not zur Tugend eines eigenständigen Konzeptes zu wenden, gelingt den wenigsten.

So fehlte vor allem dem Programm „Kurze Stücke“ ein überzeugendes Konzept. Zu wenig Glamour, um Revue zu sein, zu wenig neu, um als Experiment durchzugehen, blieb es bei einer additiven Reihung von sechs Soli je Abend. Da freute man sich über jede Lustigkeit, unterhielt sich gut mit Ursula Schmids Schulmädchen aus den Schweizer Bergen, das pubertäre Renitenz und Abenteuerlust mit den Füßen unterm Tisch auslebt, war Adalisa Menghini dankbar, die mit einem witzigen und absurden Bewegungsvokabular eine kurze Geschichte der Evolution erzählte oder genoß den schönen Stil einer Tänzerin wie Constanze Macras. Über Stilübungen kam das aber alles kaum hinaus. Andere Stücke wartete man einfach ab, wie Janine Schneiders „Requiem für ein Schwein“: Vielleicht hätte dieses Bild, in dem die Tänzerin mit Schweinsmaske Bewegungen nur andeutet, in einem anderen Rahmen als meditative Einladung funktioniert.

Spannender hätte der Doppelabend werden können, zu dem die Künstlerin Chris Kremberg, die aus Filz, Glas und Papier Skulpturen baut, die Choreographinnen Regina Baumgart und Anne Dreyfuß eingeladen hatte. Den anspruchsvollsten, aber auch in seiner Spröde nur schwer zu konsumierenden Ansatz zeigte Regina Baumgart: Anfangs, als sie sich hinter einer gewellten Wand von Kremberg vorschob, hatte man die Vorstellung von einem Flieger nach dem Absturz, dem die Koordination und Einheit des Körpers ebensowenig selbstverständlich ist wie die Orientierung im Raum. Später bewegte sie sich in einem markierten Feld, als müßten vor jedem Schritt erst die Himmelsrichtungen, mögliche Begegnungen, Unfälle und Konsequenzen erwogen werden. Nach abrupten Wendungen rasteten ihre Glieder manchmal in bestimmten Stellungen ein wie bei einer mechanischen Puppe. Der anfänglich nachvollziehbare Bezug zu den Objekten verlor sich aber bald.

Richtig zugerümpelt mit einer gewalttätigen Akustik aber wurden die raumschaffenden Eigenschaften der Skulpturen im zweiten Teil. Krembergs archaisierende Formen aus Papier, die an Boote, Speere und Zelte erinnern, waren zu einem Höhlenambiente zusammengestellt. Den Gitarristen Jean-Francois Pauros inspirierte die urzeitliche Stimmung wohl zum endzeitlichen Lärm und mit forciertem Anarchismus scheuerte er sich an seinem Instrument. Hach, klang das wild und daneben. Von dieser leicht lächerlichen Klangkulisse ließ sich Anne Dreyfuß jagen und huldigte zappelnd den Objekten. Ein peinlicher Versuch in Authentizität.

Mehr Professionalität kann man da schon von den kommenden Abenden erwarten. Am nächsten Dreierabend ist neben Xavier Le Roy und Jennifer Lacey auch Lindy Annis beteiligt, die für die solistische Form Erfahrung, Erfolg und Ideen mitbringt. Den Abschluß macht ein Stück von Jo Siska, angekündigt als eine doppelte Geschichte der Befreiung. Denn zum einen probt Siska, der zehn Jahre lang Tänzer bei Hans Kresnik war, damit den Schritt in die künstlerische Unabhängigkeit; zum anderen erzählt sein Stück „Es“ von den Ängsten der Kindheit und dem Wachsen aus den Kinderschuhen.

So richtig froh aber kann man mit einem Programm kaum werden, das man eher aus Solidarität mit der Tanzszene und ihren schwierigen Produktionsbedingungen besucht denn aus Lust und Interesse.

Xavier Le Roy, Lindy Annis, Jennifer Lacey: 17. und 18. Februar; Jo Siska „Es“: 21. und 22. Februar, jeweils 21 Uhr, Hallesches Ufer 32