■ Robert Schneider und der Literaturbetrieb
: Stilbildende Stilblüten

Wenn Ödnis und Langeweile im Literaturbetrieb sich wieder einmal so bleiern wie im bleiernen deutschen Herbst auf das Gemüt des Kritikers legen, wenn Reich- Ranicki verzweifelt zum Telefon greift, um die Verleger Rechenschaft darüber ablegen zu lassen, was denn – bittä schön – mit der deutschen Literatur los sei, dann ist es wieder soweit. Dann muß sich der Literaturbetrieb ganz schnell was einfallen lassen. Dann hat die Stunde solcher Bücher wie „Schlafes Bruder“ geschlagen.

Das mag sich nicht besonders plausibel anhören, aber ich wette, daß niemandem so schnell eine bessere Erklärung dafür einfallen wird, warum sich diese zähflüssige Prosa über einen Dorftrottel und dieser vor Heimat wabernde Laberroman 1,3 Millionen Mal verkaufen ließ. Die Kritiker hatten kräftig mitgeholfen und mußten sich anschließend von ihrem eigenen Zögling anhören, was für ein beschissener Laden das Feuilleton sei. „Die Literatur ist denen doch scheißegal geworden“, rabaukte Robert Schneider im Stile des frühen Kroetz und wußte gar nicht, wie recht er dabei hatte, hielt man sich sein eigenes Werk vor Augen.

Dafür gibt es jetzt Saures. Das Imperium schlägt zurück, denn schließlich hatte man ihn nicht groß gemacht, damit er hinterher über seine Wohltäter herzöge. Kaum war der Nachfolgeroman „Die Luftgängerin“ da, nahm man Rache an dem Mann, auf dessen unverhofften Erfolg man neidisch geworden war. Immer nach dem gleichen Muster laufen diese Geschichten ab. Nur einer hat nichts gemerkt: Robert Schneider. Aufgeblasen und eitel krähte er im Stern seine Bekenntnisse hinaus, die sich jedoch weniger nach Überzeugung anhören als vielmehr nach Verzweiflung, als müsse er sich viel Mut zusprechen: „Ich weiß genau“, sagt Robert Schneider, der natürlich gar nichts genau weiß, „daß ,Die Luftgängerin‘ funktionieren wird. Da werden wir noch tolle Sachen erleben. Ich bin eben als Mensch außergewöhnlich, weil ich mich entzünden kann. Der Roman wird stilbildend sein.“

Einer, der sich selbst so auf die Schulter klopft, um gegen die Ahnung anzukämpfen, daß sein Roman eher stilblütenbildend ist und die meisten ihn für ein Arschloch halten, hat natürlich eine Menge Kompensationsprobleme. „Wenn man da vorne sitzt, und die Menschen dann so angeheizt sind durch meine Wärme und durch meine Leidenschaftlichkeit“, dann möchte man besser nicht in der ersten Reihe sitzen. Man möchte überhaupt nicht dabei sein, wenn Robert Schneider tropft und glüht und seine gierigen Blicke schweifen läßt, um nach den „jugendlichen Körpern“ der „16- bis 25jährigen“ Mädchen, „die noch blühen“, Ausschau zu halten, denn es ist nicht besonders appetitlich, jemandem dabei zuzugucken, wie er lechzt und balzt und wie ein geiler Galan beziehungsweise wie sein Kumpel Udo Jürgens noch nicht volljährigen Mädels hinterhersteigt.

In Wirklichkeit aber ist Robert Schneider ganz, ganz anders, in Wirklichkeit nämlich ist Meister Schneider schon nicht mehr von dieser Welt. „Der Liebesakt hat beim Lesen stattgefunden“, verrät er sein zenbuddhistisches Geheimnis. Wirklich beim Lesen? Ein interessanter Fall. Ich fände es beim Lesen ja ein bißchen störend. Aber bitte schön. Ich bin schließlich weltoffen und liberal. Gönnen wir Robert Schneider das kleine Vergnügen. Klaus Bittermann