Am Anfang fällt der Hammer

Kanadas hochprofessionalisierte Curling-Frauen sind nach einem 7:5 über Dänemark der logische Olympiasieger in der erstmals ausgetragenen „neuen Sportart“  ■ Aus Karuizawa Matti Lieske

Sportarten, die aus Schottland stammen, sind mit Vorsicht zu genießen, egal, ob es sich nun um Golf, Baumstammwerfen, Haggis essen oder Curling handelt. Das dachte sich wohl auch das IOC, denn es ließ Curling viermal – 1928, 1932, 1988 und 1992 – als Demonstrationssportart laufen, bevor es sich entschloß, das muntere Steineschubsen für vollolympisch zu erklären.

Dies gilt aber nur auf Widerruf. Es gibt eine Option bis 2002, wie es weitergeht, hängt davon ab, wie der Sport bei Olympia ankommt. „Wir brauchen neue Sportarten“, hat IOC-Präsident Juan Antonio Samaranch gesagt, und es ist kaum bestreitbar, daß Curling die Voraussetzung, auf Schnee oder Eis stattzufinden, in hohem Maße erfüllt. Das Problem ist die weltweite Präsenz. Nach wie vor wird Curling nur in wenigen Ländern ausgeübt, hauptsächlich verbreitete es sich von den schottischen Lochs nach Schweden, Norwegen und vor allem Kanada. Eher nicht nach Dänemark.

Unter diesen Umständen konnte die Zusammensetzung des olympischen Finales kaum gegensätzlicher sein. Auf der einen Seite das hochfavorisierte kanadische Team um Kapitän (Skip) Sandra Schmirler (34): Dreimal Weltmeister, dreimal kanadische Champions, in einem harten Ausscheidungsturnier der zehn besten Teams des Landes qualifiziert. Zwar üben alle vier Spielerinnen Berufe aus und bezeichnen ihren Sport als Hobby, aber sie verfügen über Sponsoren und gewinnen erkleckliche Preisgelder.

Eine Million Menschen in Kanada betreiben organisiert Curling, dazu gibt es unzählige Freizeitspieler. In etlichen ländlichen Gegenden gibt es während der langen Winter eben nicht viel zu tun, das spannender ist als Curling. Nach Eishockey ist es die populärste Sportart in Kanada, mit dem Vorteil, daß es von Personen aller Altersklassen betrieben werden kann und nicht nur von rauflustigen jungen Männern und Frauen. Logisch, daß sämtliche Matches der kanadischen Teams live in die Heimat übertragen wurden.

Finalgegner Dänemark ist ein Land, in dem es 500 Curling-Aktive gibt und nur eine einzige Eisfläche, die der Sportart vorbehalten ist. Die 34jährige Helena Blach Lavrsen ist Skip des Teams aus Hvidrore, war 1982 schon mal Weltmeisterin und durfte bei der Eröffnungsfeier die Fahne des mit zwölf Mitgliedern größten dänischen Winterolympia-Teams aller Zeiten tragen. „Sie legen ihr Herz und ihre Seele in das Spiel, deshalb sind sie so gut“, lobte Schmirler die Gegnerinnen.

Curling ist eine Art großflächiges Billard für kalte Zeiten und erfordert neben großer Zielgenauigkeit sowie emsiger Fegearbeit, um den Lauf des 20 Kilogramm schweren Granitsteins zu beeinflussen, eine Menge taktisches Geschick. Kommt es bei den ersten der acht Würfe, die jedes Team in jedem der zehn „Ends“ hat, noch darauf an, möglichst viele gegnerische Steine aus dem Kreis zu befördern, in dem Punkte erzielt werden können, wird es bald diffiziler.

Einerseits muß versucht werden, eigene Steine vorteilhaft zu plazieren und durch Wächtersteine zu schützen, andererseits sind Konstellationen zu verhindern, die dem Gegner Punktgewinne ermöglichen könnten. Mögliche Spielzüge der Kontrahenten müssen vorausgedacht werden, und oft entspinnen sich vor einem Wurf ausgiebige Diskussionen, die lautstark über die ganze Bahn geführt werden. „Wenn wir das tun, hauen sie uns einen in die Mitte“, gibt Jan Betker vom Team Canada zu bedenken. „Sie hauen uns sowieso einen in die Mitte, egal, was wir tun“, ruft Sandra Schmirler zurück.

Besonders vorteilhaft ist es natürlich, den letzten Stein in einem End zu haben, den sogenannten Hammer. Mit einem solchen versetzte Schmirler den Däninnen gleich zu Beginn des Finales einen kräftigen Schock. Elegant kickte sie deren protzig im Zentrum plazierten Stein hinweg, und schon lagen drei kanadische Klötze näher am Mittelpunkt des Kreises als der beste dänische Stein – 3:0 für den Caledonian Curling Club aus Regina, Saskatchewan. „Das war auf jeden Fall ein Faktor in diesem Match, denn von da an befand sich Helenas Team in der Aufholjagd“, sagte Schmirler hinterher. Das allerdings, mußte die Kanadierin zugeben, „machten sie großartig“. 7:5 hieß es aber schließlich doch für Kanada, den Däninnen blieb die erste Medaille bei Winterspielen, die ihr Land je geholt hat.

Sandra Schmirler und ihre Mitstreiterinnen haben kaum Zeit, den Olympiasieg, den die kanadischen Männer danach beim 3:9 gegen die Schweiz verpaßten, gebührend zu feiern. Schon am Wochenende finden in ihrer Heimatstadt die kanadischen Meisterschaften statt. Die Meinung vieler Landsleute, daß ein Sieg dort erheblich schwerer zu erringen sei als in Nagano, wies Joan McCusker, die in Regina als Lehrerin arbeitet, jedoch zurück. „Die besten vier Teams hier könnten in Kanada gut mithalten. Niemand kann sagen, daß sie nicht so gut wie die Kanadierinnen sind.“ Die dänischen Spielerinnen hörten es mit Wonne.