Madonnas Requiem für Anjelika

Die grelle Wunschamerikanerin Pascha Gritschuk holt mit Partner olympisches Eistanz-Gold, watscht damit ihre stolze Rivalin Krylowa ab und darf nun nach Hollywood  ■ Von Jan Feddersen

Berlin (taz) – Gewonnen. Zweimal die 6,0 in der Kür, auf den ersten Platz gesetzt von allen Preisrichtern, das olympische Gold von Lillehammer verteidigt: Pascha Gritschuk hat nun alle Wege frei, ihre Karriere in den USA fortsetzen zu dürfen – als Revueläuferin. Konkurrentin Anjelika Krylowa endete auf dem zweiten Rang, und zwar unumstritten.

Was war das für eine Allianz. Einerseits die Herren vom IOC, die ihr Unternehmen „Olympische Winterspiele“ weiter zur Expansion bringen wollen. Dort die russische Eistänzerin Oksana Gritschuk, die nicht nur die Goldmedaille gewinnen wollte, sondern ein Star werden will. Kürzlich hat sie sogar gestreut, Robert de Niro habe ihr eine Rolle angeboten. Und: „Ich will den Oscar in einer Hollywoodnacht.“ Es spricht einiges dafür, daß die Läuferin es auch so gesagt hat.

Ihr Vor- wie Haßbild ist die Olympiasiegerin von 1994 und spätere Showläuferin Oksana Bajul aus der Ukraine. Frau Gritschuk – auf deren Partner Alexander Platow es auch gestern bei der Kür sichtlich nicht sehr ankam – will wie Bajul das triste Rußland verlassen und Mitglied der Traumfabrik USA werden, hofiert werden von den Talkshows und eingeladen vom Präsidenten. Keinesfalls will sie eine alkoholische Drogenkarriere antreten. So nennt sie sich nicht mehr Oksana, wie noch vor vier Jahren beim Goldlauf in Lillehammer, sondern Pascha.

Und vielleicht deshalb hat sie sich die Haare wie Madonna blondieren lassen, daß es sogar ein wenig billig und bedürftig aussieht: Hauptsache, nicht so lolitahaft wie die Bajul. Das amerikanische Fernsehen mußte Gritschuk einfach wie gerufen, ja wie gecastet kommen. Der Titel ihrer in der Tat suggestiven Musik unterstreicht den Anspruch auf Unsterblichkeit: „Memorial Requiem“. Die Kür sei ein „Requiem unserer Karriere“ gewesen, gar ein „Aufschrei unserer Seelen“.

Weshalb, laßt Gritschuk offen – aber das will in „Amärika“ auch keiner so genau wissen. Sie tragen statt dessen ein großes Christuskreuz auf dem Trikot – dieses Bekenntnis versteht jeder. „Wir sind sehr religiös“, sagt Pascha Gritschuk, „alles kommt von Gott.“ Selbst wenn es nicht stimmt: Soviel plakative Skizzen zu einer Kür sind selbst in den USA ungewöhnlich.

Vor allem deshalb, weil sie ihre Konkurrentin, die immer etwas vornehm wirkende Anjelika Krylowa, so verachtet. Beide Damen nahmen sich auf das Schönste nicht zur Kenntnis und beförderten deshalb das Interesse am Eistanzen um so mehr. Krylowa meint, daß ihre Kür – bei der Oleg Owsiannikow ihr den Partner gab, aber wen interessierte das schon? – sportlich rasanter sei, genauer bei den Schritten, nicht so kratzig bei Kreiselbewegungen.

Krylowa, die Schöne; Gritschuk, das Biest? Jedenfalls hat die Zweite allen Grund, der Blonden sehr unfeministisch die Pest an den muskulösen Hals zu wünschen. Oder hatte etwa Gritschuk nicht ein Verhältnis mit Krylowas Läufergefährten? Das Publikum liebt solche Geschichten, giert nach Intrigen und der Kunde von übler Nachrede.

Aber kein Laienzuschauer kann beurteilen, was sportlich wirklich zählt. Eistanzen ist erst seit Torvill/ Deans „Bolero“ aus dem Jahre 1984 schön – und Pascha Gritschuk, die so zäh wirkt wie die Dietrich vor ihrer Emigration, wollte in einem Atemzug genannt werden wie die Briten. Anders als beim Paarlaufen sind keine Sprünge zu zählen, keine Hebungen zu notieren, sondern einzig die Tanzdarbietungen, die Technik: Das ist so schwierig, daß für die Einschaltquote andere Dinge getan werden müssen – vor allem die Show vor der Show.

Die Kür bestätigte: Kein anderes Paar reicht an die zwei Paare heran, sportlich sowieso nicht. Der Rest wirkt gegen sie wie ein Haufen mühselig Beladener. Das Publikum dankte ihnen die Darbietungen mit Mindestapplaus. Welch Abstrafung! Gritschuk/Platow hingegen ernteten so viele Blumen nach ihrer Kür, daß die japanischen Helferinnen mit dem Aufsammeln kaum nachkamen. Sie waren schlicht besser als die Krylowa mit Partner.

Das einzige Handicap der Gritschuk: Torvill/Dean wurden mit „Bolero“ unvergeßlich, weil sie den Kult um sich nicht planten. Die blonde Wunschamerikanerin wird damit rechnen müssen, in vier Jahren erinnert zu werden als – Eistänzerin mit Hang zu Höherem.