Ansturm auf Gasmasken

■ Die israelische Bevölkerung geht auf Nummer Sicher, auch wenn die Militärs einen irakischen Angriff für wenig wahrscheinlich halten

Jerusalem (taz) – „Ich glaube nicht an einen irakischen Angriff. Ich stehe hier nur, weil meine Frau mich schlägt, wenn ich ohne Gasmasken für sie und die Kinder nach Hause komme“, sagt ein 40jähriger Israeli, der seit drei Stunden in der Schlange steht. In der Jerusalemer Shopping Mall sollten die Gasmasken ab 8.30 Uhr ausgegeben werden. Doch erst um 1.30 Uhr trafen die ersten Gasmasken ein. Obwohl auch die israelische Armeeführung einen irakischen Angriff auf Israel für höchst unwahrscheinlich hält, herrscht in der Bevölkerung eine Gasmasken-Hysterie.

20.000 Menschen stehen noch immer täglich Schlange an den Ausgabestellen. In zahlreichen Büros der sogenannten Heimatfront-Führung wie in der nordisraelischen Stadt Safad sind die Gasmasken ausgegangen. An anderen Stellen müssen die Menschen stundenlange Wartezeiten in Kauf nehmen. Für die zahlreichen orthodoxen Bartträger sind besondere Gasmasken der Form „extra large“ erforderlich, die auch nicht immer vorrätig sind. Und die einzige israelische Gasmaskenfabrik bei Tel Aviv kommt mit der Produktion nicht nach.

Da kommen die 180.000 Gasmasken, die Deutschland nach Israel schicken will, gerade recht. In Tel Aviv nahmen illegale Einwanderer sogar die Gefahr der Deportation auf sich, um für die Ausgabe von Gasmasken zu demonstrieren. „Vorbeugung ist besser als Hilfe. Gasmasken jetzt!“, war auf ihren Transparenten zu lesen. Doch die rund zweihunderttausend illegalen Arbeiter haben keinen Anspruch auf Gasmasken. Zumindest noch nicht. Und das gilt auch für die ausländischen Einwohner Israels und die Touristen im Lande. Erst wenn die Armeeführung befindet, daß ein Angriff unmittelbar bevorsteht, sollen Gasmasken auch an Ausländer und Illegale verteilt werden.

Auch die arabischen Einwohner Jerusalems haben Anspruch auf eine Gasmaske. Doch die wenigsten machen davon Gebrauch. „Ich will keine“, sagt Abu Scharich, Vater von drei Kindern. Abu Scharich, der im Stadtviertel Schufat im arabischen Ost-Jerusalem lebt, glaubt nicht, daß Saddam Hussein Jerusalem bombardieren wird. Damit gedroht hat der irakische Herrscher Diktator bisher tatsächlich nicht. Im Gegenteil, Iraks Außenminister schloß einen Angriff auf Israel im Gegensatz zu 1991 explizit aus. „Wenn, dann ist nur ein Angriff auf Tel Aviv wahrscheinlich“, meint Abu Scharich. Doch 1991 verirrte sich auch eine Rakete ins Westjordanland, ohne allerdings Schaden anzurichten.

Ohnehin ist die palästinensische Bevölkerung Pro-Saddam eingestellt. Während der Irak zur strikten Befolgung der UN-Resolutionen gezwungen wird, haben viele Palästinenser das Gefühl, daß die USA gegenüber Israel ganz andere Maßstäbe anwenden. Tatsächlich werden Resolutionen im UN-Sicherheitsrat, die einen israelischen Rückzug aus den besetzten Gebieten fordern, seit Jahren von den USA mit einem Veto verhindert. Diese doppelte Moral hat auch die meisten arabischen Länder davon Abstand nehmen lassen, erneut einer anti-irakischen Front beizutreten. Und die hartnäckige Weigerung der israelischen Regierung, den vertraglich vereinbarten nächsten Teilrückzug zu vollziehen, hat die US-Position im Nahen Osten eher geschwächt als gestärkt.

Hamsterkäufe sind ein untrügliches Zeichen der Panik unter der Bevölkerung. In der Tat legen viele Israelis inzwischen Vorräte an. Das aber machen die Jerusalemer auch, wenn ein bißchen Schnee fällt. Noch sind die Supermärkte in Jerusalem allerdings gut bestückt. Außer Gasmasken gibt es noch immer alles zu kaufen.

Der Kommandeur der Heimatfront, Generalmajor Gabi Ophir, betont, daß es keinen Grund zur Panik oder Beunruhigung gebe. „Es gibt genug Gasmasken für alle“, sagt er. 120 Menschen kamen 1991 bei den irakischen Scud-Angriffen ums Leben. Allerdings nur zwei durch direkten Beschuß. Und der war konventionell bestückt und nicht mit chemischem oder biologischen Waffen. Die meisten Opfer starben an Herzversagen oder einer falschen Benutzung der Gasmasken. Doch der historische Kontext, den ein möglicher Giftgasangriff auf Israel auslöst, wie wahrscheinlich oder unwahrscheinlich er auch immer sein mag, ist hierzulande nicht mit einer bloßen Handbewegung vom Tisch zu fegen. Präsident Ezer Weizmann, bekannt für ungeschminkte Worte, mahnte seine Landsleute indessen, mit ihrem alltäglichen Leben fortzufahren. „Sie können schon am Morgen Valium nehmen“, sagte er. „Aber ich rate Ihnen statt dessen, morgens zwei Eier zu essen, tief durchzuatmen und nicht in Panik zu geraten.“ Georg Baltissen