Die Angst geht um am Arbeitsplatz

Panikattacken und soziale Phobien: Immer mehr Menschen fürchten ihren Job – und um ihn.  ■ Von Lisa Schönemann

Ein 28 Jahre alter Manager, von seiner Firma beauftragt, marode Filialen zu sanieren, hält sich nur mit einer täglichen Ration von 15 Milligramm Valium und einer Flasche Whisky über Wasser. Sein Job geht mit einem hohen Maß an Unbeliebtheit einher. Schließlich soll er den MitarbeiterInnen gegenüber eine rigorose Härte an den Tag legen. In der Verhaltenstherapeutischen Sprechstunde der Universitätsklinik Eppendorf (UKE) wird eine massive Angststörung diagnostiziert.

„Das klassische Erscheinungsbild überforderter Berufseinsteiger war bislang den Männern vorbehalten“, sagt Ivar Hand, Direktor der UKE-Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie. Jetzt kommen immer mehr Frauen in die Sprechstunde, die nicht älter sind als Mitte dreißig und Karriere gemacht haben. Der Psychiater berichtet von einer 30jährigen Modedesignerin, die unter Panikattacken leidet. Anfangs plagten sie Schweißausbrüche und peinliches Erröten im Gespräch mit anderen. Schließlich entwickelte sie eine soziale Scheu. „Wenn das so weitergeht, muß ich meinen Job aufgeben“, klagte sie im therapeutischen Gespräch. Seit ihre Beziehung vor zwei Jahren in die Brüche gegangen ist, hat sie privat kaum noch Kontakte.

Die Deutsche Angestellten Gewerkschaft (DAG), die Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK) und der Kirchliche Dienst in der Arbeitswelt (KDA) stellten das Tabuthema gestern in den Mittelpunkt einer Fachtagung in der Katholischen Akademie. Etwa 250 Betriebs- und Personalräte sowie Menschen aus helfenden Berufen beschäftigten sich gestern mit der zunehmenden „Angst am Arbeitsplatz“. Für Susanne Habicht vom KDA wird diese Angst aus mehreren Quellen gespeist: Viele ArbeitnehmerInnen könnten mit dem hohen Tempo technischer und ökonomischer Entwicklungen nicht mithalten, Kostendruck und Umstrukturierungsprozesse versetzten sie in permanente Aufregung. „Der Reformstau im System der sozialen Sicherung läßt mehr und mehr Menschen skeptisch in die Zukunft blicken“, so Susanne Habicht.

Stephan Ahrens von der Psychosomatischen Abteilung des Krankenhauses Rissen ist davon überzeugt, daß ein Großteil der Krankmeldungen auf geheime Ängste zurückgehen. Auch nach Arbeitsunfähigkeitsanalysen der AOK Hamburg wird ein großer Teil der Krankschreibungen wegen Rückenschmerzen durch psychische Belastungen verursacht. So entfielen 1997 rund 28 Prozent der Arbeitsunfähigkeitstage von AOK-Versicherten in Hamburger Unternehmen auf Muskel- und Skelett-Erkrankungen, davon zwei Drittel auf Rückenbeschwerden. Nach Schätzungen der AOK stecken in rund 60 Prozent der Fälle hinter den Krankmeldungen erhebliche Angstgefühle.

Bevor die Versagensängste sich zu einer handfesten sozialen Phobie oder einer Depression auswachsen, empfiehlt der Psychiater Hand, statt am Alkoholausschank lieber bei einer Selbsthilfegruppe aufzutanken. Der nächste Schritt wäre der zu einem Therapeuten, dessen Aufgabe es ist, den Betroffenen aus der Erstarrung zu befreien.