Wiedersehen mit Bobbele

■ Vom Hocker im Ballettsaal auf den Ehrenplatz im Rathaus / Altstar Boris Becker kümmert sich am Ende seiner Karriere in Bremen um den Nachwuchs beim Davis Cup

Das letzte Mal, daß ich Boris Becker gesehen habe, muß irgendwann in der Mitte der achziger Jahre gewesen sein. Er saß auf einem Fußschemel im Ballettsaal von Anita Lack in der Blumenstraße in Heidelberg und schaute einer Gruppe von Mädchen mit Pickeln in Tutus zu, wie sie ihre Pliés machten. Er wäre wohl nicht weiter aufgefallen – aber so gut wie nie interessierte sich jemand für unser Gehopse, außer Familienmitgliedern und Teenie-Lovern. Heute weiß ich, warum er damals da war.

Gestern stand er im Bremer Rathaus für einen Moment wieder neben mir. Die Presse-Meute hätte mich fast umgerannt, ich trat zur Seite und da war er plötzlich an meiner Seite. Gut sah er aus, gar nicht wie früher. Der graue Anzug hob ihn nett von den anderen wichtigtuerischen Typen von den Fernsehstationen ab, die er wahrscheinlich immer im Schlepptau wie die Schmeißfliegen hinter sich herzieht. Weil ich, streng genommen, auch zur Meute gehörte, würdigte er mich keines Blickes. Irgendwie berührte mich das. Er war da, um mit seinem Kollegen Carl-Uwe Steeb für das Davis Cup Spiel gegen Südafrika zu werben, das am 3. bis 5. April in der Bremer Stadthalle stattfinden soll. Brav trug Boris sich ins Gästebuch Bremens ein, nahm den Fußball mit den Unterschriften der Werder-Mannschaft entgegen und machte einen netten Schnack mit Henning Scherf, von dem er nicht umarmt wurde. Dann stellte er sich den Mikrofonen.

Der Grund für seine Anwesenheit in unserem Balettsaal hatte sieben Buchstaben: Bettina. Das Problem war, daß Bettina insgeheim auch die Dame meines Herzens war. Zwar kamen immer irgendwelche Pummelchen und gaben Liebesbriefe in Schreibschrift ab, mit Ankreuzen und so weiter. Aber das interessierte mich nicht. Von meinem Schmachten wußte Bettina natürlich nichts, und auch Anita Lack, unsere Ballettlehrerin, die aus mysteriösen Gründen immer ein Kopftuch trug, kommentiert das späte Bekenntnis mit Gleichgültigkeit: „Hinter der Bettina waren doch damals ganz viele Jungen her.“

Daß ich irgendwann mit ihr tanzen durfte, in der besseren Gruppe, und sie gelegentlich durch die Luft wirbelte, brachte mir also keine Vorteile ein. Irgendwann gewann der Typ mit den roten Haaren ein Sporttunier in England und wurde über Nacht berühmt. Und Bettina war auf einmal seine erste Freundin. Beim Sekttrinken mit der Gruppe nach dem Tanzen – die ersten Alkoholerfahrungen – zeigte sie einen Fotobericht der „Bravo“herum, wo sie mit ihm Händchen hält. Und erzählte stolz, daß die „Bild-Zeitung“ihr 40.000 Mark für die Exclusiv-Story geboten hatte, die sie ablehnte. Die Realität arbeitete gegen meine Träume.

Bobbele war in der sechsten Klasse des Helmholtz-Gymnasiums, als ich in der fünften war – sein Klassenzimmer war um die Ecke. Ich schaffte den Absprung aus dieser furchtbaren Schule schneller als er, nur, bei ihm war die Sache endgültiger und lief etwas anders. Er wurde Star und kann heute vom „Ende meiner Karriere“und der Nachwuchsförderung reden, und davon, daß mit „25, 26 Jahren die Kräfte nicht mehr so frisch sind“.

Kurz vor Wimbeldon muß es gewesen sein, da hat der Mann der Ballettlehrerin ihn auch mal von der Fensterscheibe weggejagt. „Er dachte, Boris sei ein Spanner“, lacht Anita Lack. Den Nachnahmen von Bettina weiß sie nicht mehr, denn sie hat schon lange aufgehört zu tanzen. Trotzdem ist sie auf einem erstaunlich aktuellen Stand: „Bettina ist noch immer in Heidelberg.“Was ist wohl aus ihr geworden? „Die ist jetzt verheiratet und hat zwei Kinder“. Ja, die Vergangenheit. Christoph Dowe