Kühne Fanfaren im Kirchenschiff

■ Prachtvolle Aufführung von Monteverdis „Marienvesper“in Unser Lieben Frauen

Die Musik erscholl von allen Emporen der Kirche Unser Lieben Frauen. Rauschte da wirklich die Fanfare der Mantuaner Fürstenfamilie Gonzaga im Eröffnungssatz von Monteverdis „Marienvesper“? Das wäre kühn. Das war kühn. So kühn wie es der Komponist war, als er die liturgische „Vespro della beata Vergine“1610 schrieb.

Schon in seinem drei Jahre zuvor entstandenen „Orfeo“hatte Claudio Monteverdi genau diese Musik verwandt, um die menschlichen Leidenschaften wie nie zuvor darzustellen. Monteverdi macht mit diesem Fanfaren-Kunstgriff unmißverständlich deutlich, daß es für ihn eine Trennung von geistlicher und weltlicher Musik nicht gibt. Doch im Unterschied zum „Orfeo“ist die „Marienvesper“mit der Hauptgestalt Maria ein unerschöpfliches Kompendium der Kompositionstechniken der Zeit, in der zwischen der „prima prattica“– die vielstimmigen polyphonen Chorsätze – und der „seconda prattica“– die affektgeladene solistische Ausdruckskunst – eine erbitterte theoretische Fehde ausgefochten wurde.

Hans Dieter Renken gelang jetzt mit der Aumunder Kantorei, ausgesucht guten SolistInnen und einem ebensolchen Instrumentalensemble eine mitreißende und glänzende Aufführung. Kein Wunder, denn er beschäftigt sich schon seit Jahrzehnten mit dem Werk. Erst 1935 wurde es wiederentdeckt, und die erste Schallplatteneinspielung (1966 durch Jürgen Jürgens) hatte eine ähnliche Signalwirkung wie die Aufführung der 1829 von Mendelssohn Bartholdy wiedergefundenen „Matthäus-Passion“von Bach, die hundert Jahre lang verschwunden war.

Heute ist die „Marienvesper“das meist gespielte und aufgeführte Großwerk aus der Zeit vor 1700. Fragt man ChorleiterInnen nach ihren Wünschen, antwortet jede zweite „Marienvesper“. Und die jetzige historisch korrekte und klangschöne Aufführung warf einmal mehr die Frage auf, warum Monteverdi, der die Musikentwicklung radikaler vorangetrieben hat als Bach oder Mozart, bei VeranstalterInnen und Publikum immer noch als archaischer Vorläufer betrachtet wird.

Hans Dieter Renken akzentuierte zunächst eine der wichtigsten Vorgaben überhaupt: die der Raumkonzeption. Auf beiden Emporen stehen sich Chor und Orchester gegenüber, und wenn man dann noch bedenkt, daß die geforderte Zehnstimmigkeit zu Beginn des 17. Jahrhunderts noch keinen Takt im Sinne von eins bis vier kannte, dazu immer kompliziertere Engführungen auszuführen sind, ist die geleistete Koordination nur noch bewundernswerter. Zweitens setzte er mit den SolistInnen auf höchste Expression der solistischen Concerti: Hier sind die großartig übereinstimmenden Timbres von Dorothee Mields und Friederike Hansmeier, die virtuosen Tenöre Jan Kobow und Martin Post, aber auch die flexiblen Bässe von Peter Frank und Dirk Schmidt zu nennen.

Renken begann vorsichtig, setzte zunächst auf Sicherheit und entfaltete auf dieser Basis die Klangpracht der fünf Psalmen, die wir uns im venezianischen San Marco vorstellen müssen. Daß er entgegen Monteverdis Willen die gregorianischen Antiphonen, die traditionell den Psalm „einfärben“sollen, singen ließ, mag noch durchgehen, da der heutige Hörer die liturgische Logik sowieso nicht mehr hört. Begeisterter, verdienter Beifall in der restlos ausverkauften Kirche.

Ute Schalz-Laurenze