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Das Unbehagen an der Geschichte

Die Schweizer Filme im Forum beschäftigen sich mit der unrühmlichen Rolle des Schweiz in den Jahren 1933–1945. Vor allem Richard Dindos Film „Grüningers Fall“ belegt, wie schwer sich das Land auch heute noch tut, ein moralisches Versagen einzugestehen  ■ Von Gerrit Bartels

Von „Unbehagen“ sprach ein Zuschauer, nachdem er „Nachrichten aus dem Untergrund“ gesehen hatte – ein Film des Schweizer Regisseurs Andreas Hoessli über den ignoranten Umgang der Alliierten mit den Informationen, die sie während des Zweiten Weltkriegs über den Holocaust erhielten. Der Film an sich habe ihn zwar sehr beeindruckt, so der Zuschauer weiter, unverständlich sei ihm aber, daß er in Zusammenarbeit mit dem Fernsehmagazin „NZZ-Format“ entstanden sei. Schließlich habe es in der Berichterstattung der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) über das Nazigold und den für die Schweizer Banken wenig schmeichelhaften Umgang damit jede Menge antisemitischer Töne gegeben. Hoessli teilte diese Meinung, wollte dazu aber nicht mehr sagen, als daß die NZZ und ihr dazugehöriges Fernsehmagazin eben zwei unterschiedliche Medien seien.

In allen drei im Programm des Forums vorgestellten Schweizer Filmen geht um den Holocaust. Anders als der amerikanische Videofilm „Blood Money: Switzerland's Nazi Gold“, der schildert, wie Schweizer Banken Gold und andere Beute für die Nazis gewaschen haben, stellte die aktuelle Schweizer Vergangenheitsbewältigung mitsamt der Diskussion um das Nazigold allerdings nur am Rande den Antrieb für die Regisseure dar, ihre Filme zu verwirklichen. Jacqueline Veuves Motiv zu ihrem Film „Journal de Rivesaltes 1941–42“ lag in der zufälligen Entdeckung der Ruinen des Internierungslagers Rivesaltes in Frankreich sowie des Tagebuch der dort tätigen Schweizer Krankenschwester Friedel Bohny-Reiter, das ihr in die Hände gefallen war.

Für Andreas Hoeessli ging es darum, wie man „Wissen vermittelt“; wie man eine „starre Größe“ – die Geschichte des Holocaust, die ja jeder zu kennen meint – in ihrem ganzen Schrecken vorstellbar macht und verhindert, daß sie in Vergessenheit gerät. In seinem Film berichten der polnische Untergrundkurier Jan Karsky, der damalige Leiter des Genfer Büros des jüdischen Weltkongresses, Gerhard Riegner, und Rudolf Vrba, ein Auschwitz-Überlebender, der 1944 von dort fliehen konnte, von der Vergeblichkeit, die Alliierten davon zu überzeugen, daß in Deutschland und den besetzten Gebieten ein monströser und sorgfältig geplanter Genozid im Gange war.

Am unmittelbarsten im Zusammenhang mit der Schweiz und ihrer Rolle in den Jahren 1933–1945 steht der Film „Grüningers Fall“ von Richard Dindo. Der Film soll zeigen – so der Regisseur –, „daß es in der Schweiz nicht nur Nazis und Antisemiten gab, wie es die angelsächsischen Medien heute glauben machen wollen“. Wobei ein couragierter Mann allein nicht viel besagt, besonders wenn sich das Land mit seinem Handeln noch immer nicht identifizieren will.

Paul Grüninger war ein Polizeihauptmann aus St. Gallen, der vom August 1938 bis zu seiner Amtsenthebung im April 1939 eigenmächtig und an den Schweizer Gesetzen vorbei mehreren hundert jüdischen Flüchtlingen das Leben rettete – ein Schweizer Schindler. Nachdem die Schweizer Regierung am 18. August 1938 die totale Grenzsperre für jüdische Flüchtlinge erhoben hatte, tolerierte Grüninger, der an der schweizerisch-österreichischen Grenze seinen Dienst verrichtete, die illegale Einreise zumeist österreichischer Juden – einfach dadurch, daß er die Einreisedokumente der Flüchtlinge vor den 18. August zurückdatierte. Als die Dokumentenfälschungen aufflogen, wurde Grüninger seines Amtes enthoben. Nach dem Krieg schlug er sich als Regenmantelverkäufer, Vertreter und Aushilfslehrer durch. Erst im Herbst 1993 wurde er „politisch“ rehabilitiert, und im Dezember 1995, dreiundzwanzig Jahre nach seinem Tod, durch Wiederaufnahme seines Verfahrens juristisch rehabilitiert.

In Zusammenarbeit mit dem Schriftsteller Stefan Keller, der 1993 eine sorgfältig recherchierte Biographie über Grüninger veröffentlichte, bat Richard Dindo für seinen Dokumentarfilm jüdische EmigrantInnen, die Grüninger ihr Leben verdanken, in den Zeugenstand – genau dort, wo Grüninger im Oktober 1940 verurteilt wurde, im Saal des Bezirksgerichts St. Gallen. „Menschliches Pflichtgefühl“ so Grüninger, habe ihn bewegt, diese Menschen zu retten, und in bewegenden Worten schildern die Überlebenden vor der Kamera ihre oft zwar nur kurzen und flüchtigen, aber stets unauslöschlichen Begegnungen mit dem Polizeihauptmann.

„Schuldig“ fühlte sich gar einer, weil Grüninger ihm geholfen habe und dadurch später Unrecht erleiden mußte: Er habe ihn nach dem Krieg oft auf Schweizer Bahnhöfen gesehen, einen gebrochenen Mann, den er nicht anzusprechen wagte, eben wegen dieser Schuld und weil die jüdische Gemeinde nach dem Krieg zuwenig für ihn getan habe.

Solche Aussagen machen betroffen, bedenkt man, wie schwer sich die Schweizer Regierungen damit taten, Schuld an Grüningers Schicksal einzugestehen und seine Verurteilung zu überprüfen: 1971, als das Schweizer Fernsehen das erste Mal einen Film über ihn drehte, drohte die St. Galler Regierung mit rechtlichen Schritten, falls sie in diesem Film diskreditiert werden sollte, und noch in den Jahren 1985 und 1989 weigerte sie sich, ihn zu rehabilitieren.

Dindos Film dürfte dafür sorgen, daß das an Grüninger verübte Unrecht nicht in Vergessenheit gerät. Er hält die Erinnerung aufrecht: Genau wie die beiden anderen Filme, die durch „reden, schauen, zuhören“ (so Dindo über das Prinzip seiner Filme) dokumentieren. Die Gesichter der durch Grüninger geretteten Menschen, die von Karsky, Riegner oder Schwester Friedel und ihre Erinnerungen: Sie prägen sich ein.

Daß das mit dem Vergessen so eine Sache ist, bewies allerdings die Tatsache, daß sich bei den bisherigen Vorstellungen dieser Filme das Publikum anders als sonst bei der Berlinale nicht gerade auf die Füße trat.

„Grüningers Fall“: heute, 19.45, Akademie der Künste; 20.2., 19 Uhr, Babylon im Zeughauskino. „Blood Money“: 21.2., 17.30 Uhr, Arsenal

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