Niemals wieder von vorne anfangen

Secondhand und doch authentisch: Quentin Tarantinos „Jackie Brown“ erfindet zwar nicht das Blaxploitation-Cinema der siebziger Jahre neu, aber er sorgt dafür, das die Soul-Platten der Delfonics wieder gekauft werden  ■ Von Harald Fricke

Robert Forster hat Glück gehabt. Vor 32 Jahren war er für ein paar Minuten an der Seite von Elizabeth Taylor und Marlon Brando berühmt. John Houston hatte ihn damals als jungen Kadetten in dem Homosexuellen- und Militär- Drama „Reflections in a golden eye“ eingesetzt. Der Rest an Filmen mit Forster ist dann in Videotheken verschwunden.

Wahrscheinlich hat Quentin Tarantino ihn in „Alligator“ oder irgendeinem anderen Eighties- Trash wiederentdeckt, vielleicht hat er sich aber auch an seinen Auftritt bei John Houston erinnert. Jedenfalls spielt Forster nun für „Jackie Brown“ eine tragende Rolle im Star-Ensemble: Gemeinsam mit der wunderbaren Blaxploitation-Heldin Pam Grier darf er als alternder Kautionsmakler einen waffenhandelnden Samuel L. Jackson und dessen Knastkumpel Louis (Robert De Niro) hintergehen. Ähnlich wie John Travolta mit seinem Sockentanz für „Pulp Fiction“ wird man Forster nun aber vor allem für eine Szene in Erinnerung behalten, bei der er im Halbdunkel minutenlang auf Pam Grier starrt, vom Wunder der Liebe schwer getroffen. Dazu surren die Delfonics im Falsett „Didn't I blow your mind“ – auch zum Jubel aller ZuschauerInnen, die „Jackie Brown“ beglücken wird.

Für Forster ist es jedoch mehr als der nächste Box-Office-Hit – ein zweiter Frühling, womöglich eine zweite Karriere in Hollywood. Und auch Pam Grier scheint vor Freude schier zu platzen, wenn sie gleich zu Beginn im blauen Kostüm endlose Rollbänder auf dem Airport von L.A. abschreitet. Die Kamera beobachtet sie staunend wie einen Engel. Wer ihre Seventies-Filme „Coffy“ oder „Foxy Brown“ gesehen hat, weiß, wie toll Grier schweben kann.

Ihre filmische Wiedererweckung als afroamerikanische Pop- Ikone spielt Pam Grier fast überzeugender als Robert Forster den gegerbten Elder statesman aus der weißen Mittelschicht. Immerhin ist sie heute weit über vierzig, und man glaubt ihr sofort, wenn sie sich trotz einladender Figur und big hair Sorgen übers Altern macht. Deshalb läßt sich die Story mit leichter Hand an ihrem Schicksal festzurren: Als Stewardess erledigt Jackie Brown für einen Waffenhändler Geldwäschegeschäfte, wird von der Polizei hochgenommen und zur Mitarbeit gezwungen. In auswegloser Situation beschließt sie, beide Parteien gegeneinander auszuspielen, wobei ihr der besagte Kautionsmakler Max Cherry zur Hilfe kommt.

Was wie eine Mischung aus Detektiv Rockford und Raymond Chandler klingt, entwickelt sich schnell übers Krimi-Genre hinaus. Jedes Detail, das Tarantino in seinen Film gepackt hat, ist auch ein Stück Memorabilia des Action-Kinos, bevor das Gemetzel kam – sein eigenes inklusive. Dafür hat er sich nach „Pulp Fiction“ vier Jahre Zeit genommen, in denen seine Fangemeinde ebenso gewachsen ist wie die Kritik an seinem Brachialstil aus Comicfiguren und Blutrausch. Andererseits hatte man das Gefühl, daß sich Tarantino mit dem ersten übermächtigen Erfolg selbst ein Bein gestellt haben könnte.

Aber das stimmt nicht, mittlerweile denkt er nur noch mehr über die eigene Arbeit nach. Ohne die unberechenbare Gewalt von „Reservoir Dogs“ und ohne den Zynismus aus „Pulp Fiction“ erzählt er in „Jackie Brown“ aus tiefer Zuneigung zum Material von seinen filmischen Wurzeln, die neben Scorsese und de Palma eben auch bei Jack Hills „Coffy“ oder Gordon Parks' „Shaft“ liegen. In Amerika haben ihm diese Zitate Ärger mit Spike Lee eingebracht, der die vielen „Niggers“ in „Jackie Brown“ als falschen Schmuck mit fremden Identitäten empfand.

Die Kritik ist unberechtigt. Tarantino fügt seine Images nicht zu einer Gesamtsicht auf afroamerikanische Glam- und Ghetto-Kultur zusammen, so wie etwa die Coen-Brüder in „The Big Lebowski“ das Althippietum an der West Coast mit Vietnam vertäuen. Ihm geht es einzig darum, eine Stimmung zu erhalten, die in den siebziger Jahren Phänomene wie Blaxploitation möglich gemacht hat. Statt lauter Leichen sieht man jetzt geschmackvolle Dekors, secondhand und authentisch zugleich. Auf die Frage, warum sich Brown in Zeiten von Compact Discs mit alten Soul-Platten begnügt, antwortet sie: „Es wäre zuviel Mühe, noch mal von vorne anzufangen.“ Das stimmt doch sehr melancholisch, wie überhaupt alle Beteiligten – Bridget Fonda als dauerbekifftes Surfer-Mädel ausgenommen – einer Jugend nachhängen, deren Wünsche sich nie eingelöst haben. Das macht sie verletzbar: Robert De Niro etwa gibt den weltfremden Ex-Knacki ungeheuer empfindsam. Hilflos fummelt er an der Fernbedienung, mit der er die Auto-Alarmanlage entsichern soll; unsicher stochert er in Haschpfeifen herum oder fickt schwer verkrampft mit Bridget Fonda in der Küche. Als er sich die Hose zuknöpft, schämt er sich, weil es so furchtbar eilig ging. Später wird er sie erschießen, weil er sich über ihr Gequatsche ärgert. Das ist dann wieder „Pulp Fiction“ – blitzschnell aus der Hüfte geschossen. Danach widmet sich der Film wieder den epischen Balladen der Delfonics. Sie gehörten übrigens zur neuen Prächtigkeit aus Philadelphia.

Wettbewerb: heute, 12 Uhr, Royal Palast; 23.30 Uhr Urania; 19.2., 22.30 Uhr International