■ Berlin: Das Verfahren gegen die „Interim“ ist eingestellt
: Sammelwut statt Ermittlungsarbeit

Lange Zeit haben sich Beobachter der linksradikalen Szene in Berlin sowie Kenner der dortigen Staatsschutzpraktiken die Frage gestellt, warum die Szenezeitschrift Interim seit 1988 unbehelligt erscheinen konnte. Wahrscheinlich, so lautete die einhellige Antwort, nehme das wöchentlich erscheinende Zentralorgan der Autonomen den Staatsschützern einen Großteil ihrer Sammelarbeit ab. Schließlich ist die in einer Auflage von 1.500 Exemplaren erscheinende Interim weniger ein Blättchen zum Abdruck von Bekennerschreiben als ein Spiegel der linksradikalen Diskussion in Berlin. Warum also kriminalisieren, was man sonst eigentlich hätte erfinden müssen?

Seitdem ein Teil der Ermittlungsakten eingesehen werden konnte, wurde freilich deutlich, daß dies nur die halbe Wahrheit war. Von Anfang an haben sich die Staatsschützer die Verfolgung der Interim zum Ziel gesetzt. Daß es bis zum Juni 1997 dauern sollte, bis mit der Kriminalisierungsdrohung ernst gemacht wurde, lag freilich weniger an der Lesefreude oder der sprichwörtlichen Ungeschicktheit des Berliner Staatsschutzes, der seine Existenz noch immer damit rechtfertigt, daß Kreuzberg „ein schwer zugängliches Einsatzgebiet“ sei, in dem sich der Aufenthalt unter Legende nur sehr begrenzt durchhalten lasse.

Es ist vielmehr der Weg der Kriminalisierung selbst, der hier das Ziel war und ist. Es ging nicht so sehr um das Zerschlagen einer autonomen Zeitschrift als um die Durchleuchtung der dahinter stehenden Personen und Zusammenhänge. Selbst die Razzia vom 12. Juni diente mehr dem Sammeln von Informationen über autonome Wohnprojekte als der konkreten Erhärtung der Tatvorwürfe oder gar einer Hoffnung auf die Verurteilung der Beschuldigten. Immerhin wissen auch die Berliner Ermittlungsbehörden, wie schwer Vorwürfe wie die Billigung von Straftaten einzelnen Personen zuzuordnen sind.

Aus der Einstellung des Interim-Verfahrens nun die Schlußfolgerung zu ziehen, die Kriminalisierung der Zeitschrift reihe sich ein in die Pleiten-Pech-und- Pannen-Serie des Berliner Staatsschutzes, wäre aber zu kurz gegriffen. Die obsessive Leidenschaft, mit der sie den mutmaßlichen Zeitungsmachern anderthalb Jahre lang auf der Lauer lagen, verweist auf die Sammelwut, mit der der Polizeiapparat in Zeiten zunehmender Verunsicherung nicht nur anderen, sondern auch sich selbst gegenüber die eigene Existenz rechtfertigt. Insofern ist das Vorgehen gegen die Interim auch ein böser Vorgeschmack auf die Zeiten des Großen Lauschangriffs. Uwe Rada