„...daß jedes Ding viele Seiten hat“

■ Eine Mixtur aus Verwandtschaft und Feindschaft: die kulturelle Linke und Jünger

Mit „In Stahlgewittern“, dem als kriegsverherrlichend und „präfaschistisch“ denunzierten, bei genauer Lektüre aber merkwürdig distanzierten Tagebuch seiner Erfahrungen als Grabenkämpfer des Ersten Weltkriegs und mit seinen während der 20er Jahre entstandenen Arbeiten wie dem kultur- und zivilisationskritischen Großessay „Der Arbeiter“ erwies sich Ernst Jünger als militanter Konservativer aus dem Umfeld der sogenannten Konservativen Revolution um Ernst Niekisch, Carl Schmitt oder Arnolt Bronnen. Aus seiner Verachtung der Demokratie und seiner Vorliebe für eine militärisch fundierte Monarchie machte er keinen Hehl.

Doch deuteten Bücher wie das vom Surrealismus beeinflußte „Das abenteuerliche Herz“ (1929) bereits an, daß eine bloß ideologiekritische Betrachtung entscheidende Dimensionen des Werks verfehlte. Selbst Bert Brecht wehrte Angriffe auf den schillernden Autoren und Reichswehroffizier ab: „Laßt mir den Jünger in Ruhe!“

Die Mixtur aus Verwandtschaft und Feindschaft, die die kulturelle Linke Jünger gegenüber von Anfang an empfand, kommt in Theodor W. Adornos Bemerkung, „ekelhafter Kerl, der meine Träume träumt“, exemplarisch zum Ausdruck.

Es ist auch kein Zufall, daß Jünger in Frankreich erhebliche Wirkung erzielte, obwohl er als Besatzungsoffizier der Wehrmacht im okkupierten Paris durchaus kein geladener Gast gewesen war. Man liest Jünger dort mehr als den bohemistisch-dandyhaften Artisten denn als den politischen Aktivisten mit „falschem Bewußtsein“.

An seiner Verachtung und Ablehnung des Nationalsozialismus hatte er übrigens von Anfang an keinen Zweifel gelassen und lehnte 1933 den vom ihm geforderten Eintritt in die gleichgeschaltete Deutsche Akademie der Dichtung ab. Seine Distanz zum Nationalsozialismus speiste sich aus einer elitär-ästhetischen Haltung, weniger wohl aus politischen Überzeugungen – aber besser eine snobistisch motivierte Distanz als jenes hastige Bekenntnis zum Nationalsozialismus, das zum Beispiel – den viel weniger „umstrittenen“ – Gottfried Benn eine Weile zum rasenden Mitläufer machte.

Jünger schrieb den symbolistisch verschlüsselten, rhythmisch gelegentlich peinlich hochstilisierten Prosatext „Auf den Marmorklippen“, der 1939 sofort als Form der inneren Emigration begriffen wurde, aber durchaus auch als ein literarischer Akt des Widerstands. Wegen seiner Verbindungen zum Verschwörerkreis des 20. Juli wurde er 1944 aus der Wehrmacht entlassen und schwebte bis Kriegsende in ständiger Gefahr, vom „Volksgerichtshof“ abgeurteilt zu werden.

Nach 1945 zog sich Jünger in eine Art zweiter, innerer Emigration zurück, publizierte aber regelmäßig weiter. Während der 70er Jahre erschloß er sich durch die kultur- und technologiekritisch grundierten Tagebücher „Siebzig verweht“ eine neue Leserschaft, auch und vor allem aus der sogenannten Linken. Allerdings war dies eine Leserschaft, die sich nicht mehr ideologiekritisch orientierte, sondern eher ökologisch und hedonistisch.

Konservative Leser dürfte er vor allem mit seinem großen Essay „Annäherungen. Drogen und Rausch“ (1970) verschreckt haben. Ich war 20, als ich das Buch in die Hand bekam, und damals war ich der Ansicht – und bin es noch –, daß einer wie Jünger, der LSD nahm, gelegentlich zum Joint griff und für eine liberalere Drogenpolitik eintrat, wohl doch eher „links“ zu verorten wäre.

Als ihm 1982 der Goethepreis verliehen wurde, flammte die Diskussion um Jünger erneut auf. Doch inzwischen war dem „Fall“ des politikverachtenden „Anarchen“ (Jünger über Jünger) mit dem platten Etikett „faschistischer Ästhetik“ nicht mehr beizukommen.

Mitte der 70er Jahre hatte der konservativen Neigungen eher unverdächtige Alfred Andersch für ihn eine Lanze gebrochen, indem er dessen einzigartige Kunst herausstrich, naturwissenschaftliche Erkenntnis mit literarischer Darstellung zu verschränken: „Die Gegensätze sollen aufgehoben werden. Versöhnung, nicht durch flaues Friedenstiften, sondern durch subtiles Konstatieren von allem, was beweist, daß jedes Ding viele Seiten hat.“ Klaus Modick

Unser Autor ist Schriftsteller und lebt in Wiefelstede/Mollberg bei Oldenburg