Geistige Lähmung, körperliche Starre

■ Ein bißchen Berlinale: Das Metropolis zeigt den Film Noir The Killers von Robert Siodmak, dem in Berlin eine Retrospektive gewidmet worden ist

Robert Siodmak war kein Mann der Geschichten, Robert Siodmak war ein Mann der Bilder. Vielleicht hat der Regisseur deutsch-jüdischer Herkunft deshalb seine besten Filme im Hollywood der Vierziger gedreht, als man nicht viel auf die Story-line gab, sondern das ganze Gewicht auf die einzelnen Szenen legte. Auf stimmungsvolle Ausleuchtungen und wundersame Tiefenschärfen. Der Film noir war damals ein florierendes Gewerbe, schwarz ging in Serie, und von vorne bis hinten verstanden hat die Filme dieser Reihe meist ja sowieso niemand. Triebstau, Verfolgungswahn, Agonie waren ein paar der bestimmenden Themen dieser Welt, in der man auf die guten Sitten nicht so viel gab, und Siodmak hatte die passenden Bilder dazu auf Lager.

Zum Beispiel in Phantom Lady von 1943. Sexuelles Verlangen konnte in jenen Jahren kaum expliziter dargestellt werden als in jener Szene, in der sich Elisha Cook an die weibliche Hauptfigur ranmacht. Sie erinnern sich: Elisha Cook war jener jämmerliche Leptosome mit Charakterfresse, der damals immer mitspielte, aber niemals die Halbzeit eines Films überlebte, weil er stets ins Gras biß, bevor der Morgen graute. Hier schmeißt er sich schlagzeugschmetternd während einer Jazz-Session in einem Kellerloch an das Objekt seiner Begierde ran – die rhythmische Wucht des Schnitts, die Kapriolen der Kamera sprechen für sich. Kino außer Rand und Band.

Eine andere Szene aus dem Hause Siodmak: In The Spiral Staircase, 1945 entstanden, wird die stumme Heldin von einem Triebtäter verfolgt, der es auf Frauen mit körperlichen Gebrechen abgesehen hat. Die Kamera agiert hier als Subjekt, hängt sich gnadenlos an die Gejagte. Enthemmung und Entfesselung – darum geht es immer wieder bei Siodmak.

Und um den Kater danach. Um geistige Lähmung und körperliche Starre. Um die Agonie. Und der 1947 debütierende Burt Lancaster weiß, wie man sie spielt: In The Killers liegt er meistens mit Unterhemd im abgedunkelten Kabuff. Der Mann wartet auf den Tod, der hier von den Schlachtern der Mafia gebracht werden soll. Dieser jetzt ziemlich abgerissene Typ wäre beinahe mal ganz groß rausgekommen, aber dann ließ er sich mit den falschen Menschen ein – und mit der falschen Frau, versteht sich. Entstanden ist dieses in düsteren Schwarz-Weiß-Bildern fotografierte Quasi-Requiem, das jetzt in der „Flashback“-Reihe des Metropolis läuft, nach einer Kurzgeschichte von Ernest Hemingway. Aber der lieferte nur Stoff für die ersten Minuten, die Rückblenden hat sich der Regisseur (respektive Drehbuchautor John Huston) ausgedacht. Denn einer wie Siodmak hat vor dem US-Nationalheiligtum Hemingway genauso viel oder genauso wenig Respekt gehabt wie vor dem begnadeten Pulp-Kritzler Cornell Woolrich, der die Vorlage zu Phantom Lady lieferte.

Keine Frage, Robert Siodmak ist ein Großer. Leider hat man ihn hier in seinem Heimatland immer ein wenig stiefmütterlich behandelt, gerade im Vergleich zu anderen emigrierten Filmschaffenden. Umso erfreulicher, daß ihm und seinem Bruder Curt, Script-Lieferant für so grandiose Schocker wie I Walked With A Zombie, gerade auf der Berlinale eine Retrospektive gewidmet wurde. Zumal seine äußerst ergiebige amerikanische Phase ja nur einen kleinen Teil seines Gesamtschaffens ausmacht. Wer will, kann in den Filmen des unprätentiösen Handwerkers Siodmak eine durchgängige Handschrift finden. Schon in Menschen am Sonntag von 1930, einem lockeren szenischen Reigen, der das tolle Treiben am Wannsee beschreibt, erkennt man den Autoren. Freizügig, sinnlich und, nun ja, sexy ging es hier unter der Sonne Berlins zu. Dann wurde es Nacht.

Christian Buß

So, 22. Feb., 21.15; Fr, 27. Feb.21.15; Sa, 28. Feb., 19 Uhr.