Leise Töne im Vulkan

■ Tochter, Souffleuse, Schauspielerin, Direktorin: Gerda Gmelin, 79, feiert mit einem Samuel-Beckett-Festival 50 engagierte Jahre Theater im Zimmer

Ein Theater ohne Vorhang und Rampe sollte es werden, das Publikum so nahe am Geschehen, daß jedes Pathos und jede verlogene Geste sofort entlarvt würde. Als Helmuth Gmelin die Idee eines Zimmer-Theaters konzipierte, war es keine Verlegenheitslösung. Er wollte nur die ganz echten und wahren Gefühle auf der Bühne dulden. Die Verquickung von familiärer Atmosphäre und kompromißlos hohem Anspruch war fruchtbar. Gmelins geistiges Kind braucht sich auch heute noch vor keinem großen Haus zu verstecken, wenn das Theater im Zimmer vom 19. Februar bis zum 10. April seinen fünfzigsten Geburtstag mit einem Beckett-Festival feiert.

Die Autoren-Wahl zum Jubiläum fiel nicht zufällig auf den Dubliner Großmeister des positiven Pessimismus'. Das kleine Privattheater läßt bei der Spielplangestaltung strenge Kriterien walten, den traditionellen Weihnachtskrimi als einzige Konzession ausgenommen: Ob Klassiker oder zeitgenössische Avantgarde, der Autor muß zum Haus passen. Beckett zählt seit Jahrzehnten zu der handverlesenen Schar. Vielen sei er zu unbequem, sagt Gerda Gmelin, Tochter des Gründers und Theaterchefin seit 1959. Weil er zeige, wie die Menschheit mit Geschwindigkeit in die Katastrophe rast. Vier Stücke, drei Lesungen, einen Film und ein Hörspiel präsentiert das Festival, und in drei Inszenierungen wird Gerda Gmelin selbst auf der Bühne zu sehen sein.

Die kleine alte Dame kennt die vielen Tätigkeiten vor und hinter den Kulissen in- und auswendig. Als Helmuth Gmelin 1948 mit Hebbels Maria Magdalena das Theater offiziell eröffnete, war sie in der Provinz engagiert und saß als Zuschauerin vor der Bühne. Die war noch wirklich in einem Zimmer aufgebaut, im vierten Stock der Alsterchaussee Nr. 5. Erst vier Jahre später zog das Team in die weiße Villa gegenüber. 1955 quartierte sich Frau Gmelin, die damals Masuth hieß, mit ihren beiden Söhnen in den Garderoben ein. Sie riß abends die Karten ab, besorgte die Requisiten, soufflierte. Als sie die ersten Rollen übernahm, war ihr Vater skeptisch.

Ihre schönste Zeit sei das gewesen, sagt die 78jährige heute, weil sie die Last der Verantwortung noch nicht tragen mußte. Das beste Ereignis jedoch, an das sie sich erinnern kann, datiert vom Jahre 1960, als sie gerade die Leitung des Hauses übernommen hatte. Amédée oder Wie wird man ihn los von Ionesco sollte gespielt werden. Ob sie wahnsinnig sei, wurde sie gefragt. Kein Mensch werde sich ein Stück ansehen, in dem giftige Pilze an den Wänden wuchern und ein toter Liebhaber aus der Besenkammer herauswächst. Frau Gmelin war aber von der ehrlichen, vollen Avantgarde des Stückes überzeugt, und die eine Hälfte des Publikums mit ihr. Die andere Hälfte hat geschimpft.

„Es muß weitergehen, aber nur, wenn wir etwas Besonderes machen dürfen“– die Einstellung hat das Theater im Zimmer beibehalten. Denn trotz der gewachsenen Konkurrenz und einem Publikum, das sich immer mehr seichter Unterhaltung zuwende, hält Frau Gmelin an der Charakteristik des Hauses fest. Mit ihrem Sohn, Bühnenbildner und Mit-Geschäftsführer Christian Masuth, dem Regisseur und künstlerischen Leiter Christoph Roethel sowie zehn festen Mitarbeitern hat sie ein seit langem eingespieltes Team an ihrer Seite, um den Tanz auf dem Vulkan zu begleiten, den sie um sich toben sieht – mit einem Theater der leisen, nachdenklichen Töne.

Barbora Paluskova

Das Samuel-Beckett-Festival:

„Endspiel“(mit G. Gmelin): 19.2. - 1.3./10.3. - 15.3./24.3. - 29.3.; „Alle, die da fallen“(Hörspiel): 2.3.; „Glückliche Tage“(mit G. Gmelin): 3.3. - 8.3.; „Film“(Film mit Buster Keaton)/„Mehr Prügel“(Lesung): 9./16./30.3.; „Nicht ich“(mit G. Gmelin)/„Erste Liebe“: 17.3.-21.3./1.4. - 3.4.; „Mercier & Camier“(Lesung): 22.3.; „Das letzte Band“: 4.4. - 10.4.