Grüne zeigen Sitzfleisch beim Regieren

Seit 100 Tagen mischen in Hamburg die Grünen mit. Die Senatoren geben sich gelassen, auch wenn sie nichts zu lachen haben. Das Motto der rot-grünen Koalition: Bloß keine Verhältnisse wie in NRW, bitte!  ■ Aus Hamburg Silke Mertins

Seine Vorbilder kann man sich nicht immer aussuchen. Jahrelang befaßte sich der Grüne Alexander Porschke mit dem Hamburger Hafen. Und jahrelang ärgerte er sich über die abgrundtief falsche Hafenpolitik des Wirtschaftssenators Erhard Rittershaus. Nun ist er selbst in Amt und Würden: Seit hundert Tagen ist Porschke Umweltsenator in der ersten rot-grünen Regierung in Hamburg. Und nun kommt heraus, daß er doch etwas bewunderte an seinem verflossenen Lieblingsfeind.

War dessen Frohnatur, seine stets gute Laune, dieser grenzenlose Optimismus im Angesicht des ökonomischen Abgrunds von Unternehmensschließungen und Arbeitslosigkeit nicht wunderbar und herzerfrischend? Keine Frage, die Lücke, die Rittershaus mit seinem Ausscheiden hinterließ, konnte nur von einem geschlossen werden: Porschke.

Seit hundert Tagen ist er also der Sonnenschein des Senats, auch wenn er nicht viel zu lachen hat. Die Hamburgischen Electricitätswerke (HEW) legen ihm beim geplanten atomaren Ausstieg aber nichts als Steine in den Weg. Zu Naturschutzgebieten wurden bisher nur solche Areale erklärt, die die Sozialdemokraten ohnehin dafür vorgesehen hatten oder die zu schützen Hamburg nach europäischem Recht gezwungen ist. Und an der Existenz der unseligen Müllverbrennungsanlagen kann Porschke schlicht nichts ändern. Dennoch sitzt er auf dem Chefsessel, als habe sein Hinterteil die harten Oppositionsbänke nie kennengelernt.

Nur einmal hatte er sich entschieden falsch plaziert. Auf den Sessel der Zweiten Bürgermeisterin im Plenarsaal der Bürgerschaft nämlich. Das könnte an sich noch nicht als etwas Ungehöriges betrachtet werden, wäre nicht Stuhlinhaberin und Parteikollegin Krista Sager just in diesem Augenblick hereingekommen und hätte ihn dabei ertappt. Also stellte sie sich vor aller Augen neben ihren Stuhl und taxierte den Unbekümmerten vorwurfsvoll. Der räumte kampflos den Platz. Sager meinte es nicht wirklich böse. Sie hatte mit der Frage der Bestuhlung schon ihre eigenen leidvollen Erfahrungen machen müssen.

Als Stellvertreterin des Ersten Bürgermeisters Ortwin Runde (SPD) hatte sie sich wie selbstverständlich auf dessen Platz gesetzt. Runde war an diesem Tag ja schließlich nicht da. So viel ahnungslose Sittenwidrigkeit war den seit einem halben Jahrhundert fast ununterbrochen regierenden SozialdemokratInnen noch nicht untergekommen. Darf man sich so etwas bieten lassen? Ist der Regierungschef etwa ersetzlich, zumal durch eine Grüne? Ein Genosse wurde zur Zweiten Bürgermeisterin geschickt. Sie tat es nie wieder. Runde selbst, der wonnige Ostfriese mit den schlechtsitzenden Anzügen, hatte um diesen Platz allerdings nie wirklich kämpfen müssen. Er fiel dem Parteilinken in den Schoß, als sein Vorgänger Henning Voscherau wegen des niedrigen SPD-Wahlergebnisses im vergangenen September zurücktrat. Seit seiner Inthronisierung im November bringt Runde selten einen Satz über die Lippen, in dem die Worte „innovativ“ und „zukunftsorientiert“ nicht vorkommen.

Weil die SPD-Programmatik nicht überwältigend viel hergibt, um diesen Begriff inhaltlich zum Leben zu erwecken, bedient sich Runde kurzerhand bei seinem grünen Favoriten, Stadtentwicklungssenator Willfried Maier. „Arbeit gibt es genug“, sagte Runde diese Woche vor 400 Gästen auf einer Veranstaltung der Friedrich- Ebert-Stiftung, „nur eben nicht genug bezahlte.“ Und bevor man hinnehme, daß arbeitslose Menschen in Ermangelung einer sinnvollen Tätigkeit mut- und perspektivlos werden, sich nutzlos und ungewollt fühlten, solle man lieber „Bürgerarbeit als freiwillige, ehrenamtliche Arbeit fördern“.

Bei Maier, der mit seiner steilen Stirnfalte im Senat den sorgenvollen Part spielt, heißt dasselbe „Gemeinwesenarbeit“. Wie man es auch nennt, es klingt nicht so radikal, daß man nicht applaudieren könnte. Und das taten die Zuhörer, darunter viele Vertreter der Wirtschaft, denn auch. Überhaupt sind die Unternehmer und Geschäftsleute angenehm überrascht. Etwas aktiver als in den ersten hundert Tagen könnte der Senat zwar in der Zukunft noch werden. Doch ansonsten kann man sich des angenehmen Eindrucks nicht erwehren, es hätte überhaupt keinen Regierungswechsel gegeben.

War da was? fragen sich auch Flüchtlingsorganisationen, Soziallobbyisten und Umweltverbände. Müßte nicht wenigstens eine kleine Brise des frischen Windes spürbar sein, den die Grün-Alternative Liste (GAL) im Wahlkampf mit Vehemenz versprochen hatte? Obwohl: Ein wenig ist schon passiert. Der 20prozentige Sozialhilfezuschlag für Alleinerziehende – eine Hamburger Eigenart – wurde für neue AntragstellerInnen gestrichen. Die Koalition wird arbeitslose Schulabgänger in Unternehmen als Praktikanten unterbingen, ein Vorhaben, das von der Bonner christliberalen Regierung wegen seiner Kostenneutralität hoch gelobt wurde und bundesweit übernommen werden soll. Verändert hat sich außerdem die grüne Ausländer- und Flüchtlingspolitik. Kämpften die GALierInnen in der Opposition noch erbittert gegen jede Abschiebung, ist es nun bemerkenswert still geworden. Drei Algerier sitzen im Hamburger Abschiebeknast – teilweise schon seit Monaten –, ohne daß es bisher zu ernsthaftem rot-grünem Streß gekommen wäre.

„Bloß keine nordrhein-westfälischen Verhältnisse vor den Bundestagswahlen!“ lautet die Regieanweisung. Einzig die Fraktionen haben sich noch nicht so recht aneinander gewöhnt. „Defensive Begeisterung“ nennt GAL-Fraktionschefin Antje Möller die noch zarten Bande zwischen den roten und grünen Abgeordneten, die sich so viele Jahre erboste Redeschlachten auf ganzer Linie lieferten. Vor allem den Genossen will der Beifall noch nicht so recht von der Hand gehen, wenn ein GALier redet. SPD-Fraktionschef Holger Christier baut auf die Lernfähigkeit seiner Abgeordneten: „Es gibt keine Klatschanweisung.“