Gewalt, Verbrechen usw.

Der japanische Film ist durch Chaos wie überraschende Stille motiviert  ■ Von Thomas Klein

An Asien führt im Programm des Forums kein Weg vorbei, und neben Korea ist diesmal besonders Japan überraschend stark vertreten. Als Produktionsland tauchte die Heimat von Sake, Kurosawa und portabler Elektronik in den letzten Jahren immer wieder mit interessanten Arbeiten auf, und mit Satoshi Kons „Perfect Blue“ offererierte das Forum auch schon fast traditionsgemäß den japanischen Animationsfilm. Hier ist Tokio keine pulsierende Prospektmetropole, sondern höchstens noch eine kalte, abweisende Gebäudeansammlung, ein Jagdgebiet für Groupies, Geschäftemacher und Gewalttäter.

Das erfährt auch der kleine Ganove Nishida, der die Titelfigur in „Unlucky Monkey“ von Sabu abgibt. Zu Beginn des eigenwilligen Gangsterfilms will Nishida mit einem Kumpel eine Bank überfallen und philosophiert über die Strukturen des Verbrechens. Merke: „Es ist immer der Kriminelle, der es vermasselt.“

An ihrem Ziel angekommen, sehen sie, wie ein anderer Bankräuber aus dem Gebäude läuft – nur um auf der Straße überfahren zu werden. Nishidas Kumpel fängt die hochgeschleuderte Beutetasche, bevor auch er Opfer des Individualverkehrs wird. Mit derart makabren Scherzen versieht Sabu seinen Film immer wieder: Wenig später dreht sich der hastig flüchtende Nishida rasch um und ersticht dabei eine junge Passantin. Halb wahnsinnig von Schuldgefühlen irrt der „glücklose Affe“ durch Tokio. Später trifft er auf ein vom Schicksal ähnlich geplagtes Yakuza-Trio, das unabsichtlich den Unterboß einer gegnerischen Bande erschlagen und sich so zu Gejagten gemacht hat. Daß ihr Deal – für seine Beute exekutieren sie den lebensmüden Gelegenheitsverbrecher – schiefgehen muß, versteht sich in Sabus groteskem Krimi fast von selbst. Die Ironie will es, daß nur Nishida lebend den Abspann erreicht.

Gewalt und das organisierte Verbrechen – ist es nur die Auswahl des Forums, oder sind das wirklich Schlüsselmotive des aktuellen japanischen Kinos? In „Junk Food“, einer Sammlung von gewalttätigen und verstörenden Fragmenten, die in Tokio spielen, werden Kehlen geschlitzt, Schädel eingeschlagen; da tummeln sich die Gangsta, da wird gesnifft, gespritzt, geraucht und lieblos herumgefickt. Hart sind die Schnitte, kalt und distanziert die Kamera, die einzelnen Episoden nur vage miteinander verbunden. Regisseur Masashi Yamamoto serviert geballte Hoffnungslosigkeit, von jeglichen Emotionen befreit, dafür aber mit billigen Schockeffekten beladen. Bei soviel Drogen, Blut und Tristesse ist man sehr dankbar für deutlich leichtere Kost, und auch die hat das Forum im Angebot. „Radio No Jikan“, das Spielfilmdebüt des 37jährigen Koki Mitani, unterhält jedenfalls hervorragend. Da soll in einer Rundfunkstation das rührende Beziehungsdrama „The Woman of Destiny“ live über den Sender gehen, aber dann mault die Diva herum, und das Skript wird geändert. Und geändert. Bis aus der japanischen Ehegeschichte ein in Chicago spielendes Liebes/ Gangster/Katastrophenstück wird und aus dem Fischer Torazo erst der Pilot Martin Peter und dann der Astronaut Donald(o) McDonald(o). Mit Witz und Charme führt Mitani durch den chaotischen Kulturbetrieb: Alles fügt sich Murphys Gesetz, und jede wilde Improvisation macht die Sache nur noch schlimmer, also lustiger.

Doch auch ungeheuer sperrige und strapaziöse Filme kommen aus Japan. Möglicherweise entsprechen die beunruhigend ruhigen, dialogarmen Forum-Bbeiträge „Tokyo Lullaby“ und „Blue Fish“ eher der japanischen Denk- und Inszenierweise als die erklärtermaßen an klassischen Hollywood-Filmen orientierte Radiosatire. Andererseits fordert das den (europäischen) Zuschauer. „Tokyo Lullaby“ von Jun Ichikawa, der deutlich schwächere der beiden Filme, läßt viel Raum und Zeit zum (Hinein-)Interpretieren in die karg skizzierte Geschichte. Da kehrt ein Mann nach dreijähriger, mysteriöser Abwesenheit zu seiner Frau und in seine alte Nachbarschaft zurück – doch trotz zahlloser Anspielungen und Vermutungen erfährt man über ihn ebensowenig wie über seine Umwelt. Bleiern, schwer, nein, besser sirupartig zäh liegt eine ermüdende Stille auf dem verrätselten Film.

Da ist Yosuke Nakagawa mit „Blue Fish“ ebenso still, aber deutlich präziser. Aus der Ferne verliebt sich eine Achtzehnjährige in den geheimnisvollen jungen Mann, der gegenüber ihres Arbeitsplatzes wohnt. Langsam nähert sie sich ihm, nicht wissend, daß er für Shanghaier Gangster arbeitet und ernste Probleme hat. Dank der sensiblen Kameraarbeit und der großartigen Hauptdarstellerin Mari Ouchi kann man hier die Zuneigung, Hoffnung und Enttäuschung fühlen. Passenderweise beschließt Nakagawa seinen einstündigen Film mit Standbildern – der Zuschauer ahnt, daß es nicht die prätentiöse, ach so anspruchsvolle Stille ist, die „Blue Fish“ meint. Eher Zen – oder die Kunst, nichts sagen zu müssen.