Die Faszination des Subcomandante

■ Wenn die Frontlinien unklar werden und die Helden nicht länger Helden sind: Die kanadische Dokumentarfilmerin Nettie Wild über ihren Film "A Place Called Chiapas", der weit über die geplante Zapatisten-Ge

taz: Chiapas ist in der Linken ein Modethema. Was hat Sie gereizt? Faszination für Marcos?

Nettie Wild: Das war ganz sicher ein Teil. Aber dazu kamen meine bisherigen zwei Filme, der über den Guerillakrieg in den Philippinen und der über die Landkämpfe von Indigenas und Nicht- Indigenas im Norden Kanadas. Beim Aufstand in Chiapas kam beides zusammen – bewaffneter Konflikt und Indigenas.

Was für ein Film wurde daraus?

In unserem Film gibt es zwei Geschichten: Die eine folgt dem Subcomandante Marcos und der zapatistischen Führung 1996/97, als die Zapatisten in Friedensgesprächen mit Mexikos Regierung steckten. Die zweite Geschichte war viel schwieriger: Wir merkten, daß da auch noch ein versteckter Krieg im Gange war. Viele Indigenas außerhalb des Regenwaldgebietes waren nicht durch die Regeln des Waffenstillstands geschützt und wurden von paramilitärischen Gruppen angegriffen. Das ist der inoffizielle Krieg, vor allem im Norden von Chiapas. Ich wollte das zuerst nicht filmen. Es war kompliziert und – wie ich dachte – auch außerhalb meiner Zapatisten-Geschichte. Aber wir hatten plötzlich Leute vor uns, die sich als Flüchtlinge bezeichneten, die von Paramilitärs aus ihren Dörfern geworfen worden waren. Wir sind diesen Leuten gefolgt und gingen mit ihnen zurück in ihre Dörfer. Das ist der Punkt, wo du als Dokumentarfilmerin unerwartet mit dem zu tun bekommst, was nicht im Skript steht, und wo auch Marcos nicht mehr weiß, was er tun soll.

Wie oft trafen Sie Marcos?

Oft. Ich hab' mich mit ihm nicht besonders gut verstanden. Es ist schwierig, mit einem Mann umzugehen, der schon zu Lebzeiten eine Legende geworden ist und das weiß. Es war interessant mit ihm. Denn auch er hatte uns gesagt, wir sollten im Norden filmen. Das haben wir gemacht, aber wir haben dann eben weitergefilmt und auch ihn selbst wieder gefragt: Was gedenkst du für diese Leute zu tun? An diesem Punkt ist er sehr wütend geworden. Er spielt wohl auch lieber mit den Widersprüchen anderer als mit seinen eigenen.

Als Sie anfingen zu drehen, sollte es ein Film über die zapatistische Revolte werden. Herausgekommen ist ein Film über Paramilitärs, Zapatisten, Kaziken, Militärs – wie haben Sie das noch alles zusammengebracht?

Ich habe einmal den Bischof Samuel Ruiz um Hilfe gefragt. Sie müssen, antwortete er, eins begreifen: Alles, was Sie hier sehen, sind Phänomene des Niedergangs der herrschenden Partei nach 70 Jahren Machtausübung. Menschen, die in diesem System Macht haben, merken, daß sie sie verlieren, und reagieren darauf. Wenn man alles unter diesem Blickwinkel begreift, dann versteht man Dinge.

Waren Sie sich über die Gefahr im klaren, revolutionären Kitsch zu produzieren?

Mein Film ist kein revolutionärer Kitsch! Das hier (zeigt auf mitgebrachte Zapatista-Püppchen) ist Kitsch, nicht mein Film!

Aber das Risiko, von außen alle möglichen Vorstellungen auf solche Bewegungen zu projizieren, gibt es doch. Eine Figur wie Marcos verführt doch dazu.

Ich glaube nicht, daß man irgend jemandem einen Gefallen tut, wenn man Propaganda produziert. Erst wenn es verwirrend wird, wenn die Helden nicht mehr wie Helden wirken, kommt man an den Kern der Sache heran.

Haben Sie gefürchtet, es könnte alles zu kompliziert werden?

O ja! Je weiter wir mit den Dreharbeiten vorankamen, desto schwieriger wurde es. Die Regierung und die Paramilitärs bedrohten das Filmteam. Die mexikanischen Mitglieder der Crew waren nicht mehr bereit, in den Norden von Chiapas zu reisen, wir haben das zu zweit gemacht.

Was war für Sie der faszinierendste Moment?

Das war, als wir mit den Flüchtlingen zurück in ihre Dörfer gingen. Sie hatten entschieden, daß zunächst nur eine Gruppe von rund 250 Leuten nachsehen sollte, ob alle in ihre Häuser zurückkehren könnten. Sie wußten nicht, was sie dort erwarten würde. Auf dem Weg sagte stundenlang niemand ein Wort. Als wir endlich in ihrem Dorf eintrafen, bogen wir um die Ecke – und trafen direkt auf die paramilitärische Gruppe „Paz y Justicia“, bei ihnen die Staatspolizei. Sie hatten mit Sandsäcken regelrechte Festungen errichtet mit Maschinengewehren drin, mit denen sie auf uns zielten. Wir bemerkten, daß da noch Bewegung zwischen den Bäumen war, und das war das Militär. Die Regierung hatte immer wieder beteuert, es gebe keinerlei offizielle Verbindungen zu den Paramilitärs, und da waren sie, direkt vor unserer Nase. Weil die Kamera dabei war, ließen sie die Flüchtlinge zu ihren Häusern gehen. Die waren zerstört. Plötzlich griffen die Paramilitärs uns an. Sie warfen mit Steinen auf uns, zielten auf die mexikanischen Mitglieder des Teams. Wir rannten weg, aber mein Dolmetscher wurde ziemlich böse verletzt. Heute denke ich: Was in unserm Film zu sehen ist, ist das Vorspiel für das Massaker von Acteal im Dezember. Interview: Bernd Pickert

Forum: heute, 16.30 Uhr, Delphi; 21.2., 22.30 Uhr, Arsenal; 22.2., 19.30 Uhr, Akademie der Künste