Hamsterkäufe und die Angst vor Krieg

Stimmungsumschwung in der irakischen Hauptstadt: Die bisherige Gelassenheit weicht der Sorge vor einem Angriff. Die Kriegsvorbereitungen haben begonnen. Alle hoffen auf UN-Generalsekretär Kofi Annan  ■ Aus Bagdad Karim El-Gawhary

Abu Ali hat für alle Eventualitäten vorgesorgt. In seiner Wohnung im Bagdader Stadtteil Karada hat er gemäß seinen Möglichkeiten alles Notwendige angesammelt: ein halbes Dutzend Kochgas- Flaschen und ein Faß mit 80 Litern Heizöl.

Abu Ali, der acht Jahre lang im iranisch-irakischen Krieg an der Front gekämpft und der während der Operation Wüstensturm 1991 mit seiner Familie in Bagdad ausgeharrt hat, mangelt es gewiß nicht an Kriegserfahrung. Er weiß: wenn erst einmal der Strom und alle Pumpen ausfallen, dann gibt es weder Gas noch Heizöl, neben Benzin die zwei begehrtesten Güter nach dem letzten Golfkrieg.

Den Rest seines Geldes hat er in Reis, Nudeln, Kichererbsen, Fett und Kartoffeln angelegt, Vorrat für sich, seine Frau und seine acht Kinder. „Erfahrungsgemäß ziehen die Preise nach jedem Angriff an“, erklärt er. Auf keinen Fall dürften die gelagerten Lebensmittel auf Kühlung angewiesen sein, denn, so Abu Ali: „Wenn die Amerikaner erst einmal das Elektrizitätswerk bombardiert haben, nützt auch ein Kühlschrank nichts mehr.“

Seine Nachbarn, erzählt er, hätten bereits ihre Taschen gepackt, um kurz vor einem US-Angriff zu Verwandten aufs Land zu fahren. Sie wissen, daß die Hauptstadt mit all ihren militärischen und präsidialen Einrichtungen Hauptziel eines Luftangriffes wäre.

Andere planen die Umsiedlung innerhalb der Stadt, weg von potentiellen Zielen. „Meine Mutter wohnt in der Nähe des Innenministeriums. Wir werden sie am Wochenende zu uns holen“, sagt Umm Aischa, Bewohnerin eines Viertels bar jeglicher staatlicher Einrichtungen. Auch einige Verwandte ihres Mannes werden zu ihnen ziehen, denn: „Irgendwie fühlen wir uns stärker, wenn wir mehr sind.“ Trotzdem hat sie Angst, vor allem um ihre Kinder. Umm Aischa fürchtet sich ganz besonders vor der Zeit nach einem Krieg und möglichen innerirakischen Auseinandersetzungen, etwa zwischen den verschiedenen Religionsgruppen des Landes. „Wir sind Sunniten und leben direkt neben einem Viertel, daß weitgehend von Schiiten bewohnt ist.“ Als Umm Aischa leise zu weinen beginnt, dreht sie sich verschämt weg, geht in die Küche, um wieder ihre Fassung zu bekommen. „Inschallah“ – wenn Allah will –, wird nichts passieren, sagt sie, als sie zurückkommt. „Im Koran steht ohnehin, daß keiner seinem Schicksal entfliehen kann.“

Abu Alis Vorkehrungen und Umm Aischas Sorgen sind Anzeichen für einen Stimmungsumschwung in der irakischen Hauptstadt. Noch vor einer Woche galt vielen Einwohnern die Vorstellung, ein Krieg stünde bevor, als absurd. Doch inzwischen beginnen etliche, sich auf das immer wahrscheinlicher werdende Ereignis vorzubereiten. Die staatlichen irakischen Medien wiegeln ab. Sie berichten ausführlich auch von den kleinsten diplomatischen Missionen und behaupten, eine diplomatische Lösung hätte weltweite Unterstützung – zu welchen Konditionen auch immer. Die US-Sicht der Dinge bleibt ausgeblendet. Nur wenige Iraker hören – heimlich – ausländische Radiostationen und wissen deshalb mehr.

Vor allem die visuelle Drohung des Krieges hat die meisten Iraker bisher nicht erreicht. Die im Rest der Welt geläufigen Bilder der US-Militärmaschinerie am Golf mit Flugzeugträgern, startenden und landenden Jets und auf- und abmontierten Raketen werden im irakischen Fernsehen nicht gezeigt.

Doch egal, welche Fernsehbilder und Nachrichten sie erreichen oder nicht: gebannt warten alle auf den heute beginnenden Besuch des UN-Generalsekretärs Kofi Annan in Bagdad, bei dem vermutlich über Krieg und Frieden entschieden wird. Sollte Annan ohne Ergebnis nach Hause fahren, dann werden sich auch die hartgesottensten Iraker auf einen Krieg vorbereiten. Die Gas-Abfüllstationen, Tankstellen und Lebensmittelhändler werden noch mehr zu tun haben als bisher.