Süd-Korea vor neuer Roßkur

Die Konkurs- und Entlassungswelle beginnt jetzt richtig anzulaufen. Die Verschuldung der Großkonzerne wird den Finanzsektor erneut auf die Probe stellen  ■ Von André Kunz

Tokio (taz) – Wenige Tage vor Amtsantritt des neugewählten südkoreanischen Präsidenten Kim Dae Jung blinken die Warnlichter aus dem Finanzsektor wieder rot. Die ausländischen Gläubiger blicken nicht mehr allein auf die Banken mit ihren Auslandschulden, sondern auf die riesigen Firmenkonglomerate, Chaebols genannt – und entdecken Riesenberge von bislang undeklarierten Schulden. Der Tiger in Nordostasien ist noch weit entfernt von einer Genesung.

Für ausländische Gläubiger in Europa und USA überwogen in den letzten zwei Wochen die Erfolgsmeldungen aus Süd-Korea. Anfangb des Monats wurden 24 Milliarden Dollar an kurzfristigen Krediten in mittelfristige Verpflichtungen umgeschuldet. Damit konnte der angeschlagene Bankensektor erst mal eine Verschnaufpause einlegen, nachdem im vergangenen Monat zehn unrentable Geschäftsbanken geschlossen worden waren.

Fast gleichzeitig einigte sich der designierte Präsident Kim Dae Jung mit den einflußreichen Gewerkschaften auf ein neues Arbeitsgesetz, das den Großkonzernen Massenentlassungen erlaubt. Eine Novität in Süd-Korea, wo Angestellte in den Konzernen bislang eine lebenslange Garantie ihres Arbeitsplatzes genossen.

Damit hat Süd-Korea innerhalb von zwei Monaten die wichtigsten Bedingungen des Internationalen Währungsfonds erfüllt, um die Überweisung von 58,6 Milliarden Dollar Hilfsgelder zu garantieren. Zudem hat Präsident Kim Dae Jung vor zwei Tagen dem deutschen Finanzminister Theo Waigel die Offenlegung aller ausländischen Schulden in Banken und Konzernen versprochen. Dies sieht nach einem erfolgreichen Start zur Sanierung der zweitgrößten Wirtschaftsmacht Asiens aus.

Vor Ort sieht die Lage aber viel bedenklicher aus. „Die Aussichten für das Land sind höllisch“, sagt der Volkswirt Stephen Marvin von Sangyong Investment & Securities in Seoul. Hohe Zinsen und Liquiditätsengpässe in der Industrie haben dazu geführt, daß ein Fünftel aller ausstehenden Kredite versauert sind. Das sind satte 74 Milliarden Dollar von geschätzten 368 Milliarden Dollar Inlandschulden. Gegenwärtig gehen monatlich über 3.200 Betriebe in Konkurs – mit steigender Tendenz. Über 300.000 Arbeiter sind ohne Arbeitslosenversicherung auf der Straße gelandet. Bis Mitte des Jahres dürfte das Heer der Erwerbslosen in Süd-Korea um eine Million Menschen zugenommen haben. Marvin erwartet demnächst auch wieder Riesenpleiten in den Reihen der Chaebol, von denen bereits im letzten Jahr sechs gekippt sind. Die Furcht ist durchaus begründet. So hat die Kredit- Rating-Agentur Standard & Poor's am Mittwoch bekanntgegeben, daß die Anleihen der größten südkoreanischen Konzerne, wie Samsung Electronics, Daewoo oder Hyundai Motor, weiter als „Schrottanleihen“ mit hohem Risiko eingestuft bleiben. Diese drei Spitzenkonzerne und weitere 30 Chaebols stehen im Ausland mit über 40 Milliarden Dollar kurzfristigen Schulden in der Kreide. Dazu kommen 86 Milliarden Dollar langfristiger Schulden. Gespiegelt wird diese Unsicherheit in Süd-Korea durch die erneut fallende Landeswährung. Stand der Won Ende Januar, als das erste Umschuldungsverfahren unter Dach und Fach gebracht war, noch auf 1.572 zum US-Dollar, ist er inzwischen wieder auf 1.700 zum US- Dollar gefallen. Was Beobachter in Seoul am meisten beunruhigt, ist die träge Reaktion der Chaebols. Diese Konglomerate, die vom Schlachtschiff bis zum Mikrochip und von der Schuhputzbürste bis zum Notebook alles unter einem Markennamen herstellen, weigern sich, unrentable Geschäftsbereiche zu verkaufen und damit ihre Verschuldung zu verringern.

Niemand glaubt mehr den regierungsamtlichen Prognosen, nach denen die südkoreanische Wirtschaft im laufenden Jahr um zwei Prozent wachsen soll. 50 Prozent weniger Kapitalinvestitionen und fünf Prozent weniger Konsum sagt Sangyong's Marvin voraus. Dazu kommt, daß Süd-Koreas Industrie von der Krise in den anderen asiatischen Ländern wohl weltweit am stärksten betroffen ist, schließlich gehen mehr als vierzig Prozent aller Exporte in die Region.