Leidenschaft

Abdul Zalakijew, 45, (Foto) ist seit 18 Jahren Mitglied des Dramatischen Theaters in Grosny. Das Ensemble besteht aus 26 SchauspielerInnen, die an den Theaterschulen Moskaus und St. Petersburgs ausgebildet wurden. Das Theater in Grosny inszenierte vor dem Krieg große Shakespeare-Aufführungen und gewann jedes Jahr Preise in den dramatischen Wettbewerben der Russischen Föderation. Abdul Zalakijew war Richard III. und Jago und spielte in zahlreichen Filmen mit. Jetzt ist das Ensemble auf eine kleine Bühne angewiesen. Mehr als 1.000 Zuschauer nahm das Theater vor dem Krieg auf, heute sind es nicht mehr als hundert. Seit Kriegsende, im Dezember 96, haben die Schauspieler keine Gage bekommen. Sie leben bei Verwandten, ihre Familien ziehen sie durch.

Für das tschetschenische Gegengastspiel in Deutschland bot sich das Berliner Haus der Kulturen der Welt als Veranstaltungsort an. Am 7. und 8. April 1998 werden das Drama „Bluthochzeit“ des Spaniers Federico Garcia Lorca und ein tschetschenisches Folklorestück, „Erde der Väter“, gespielt. Mit diesem Folklorestück treten die Tschetschenen einen Tag darauf noch einmal im Theater in Karlshorst, dem ehemaligen Haus der Sowjetischen Offiziere, auf. Finanziert wird das Gastspiel aus Spenden und aus Geldsammlungen, auch das Auswärtige Amt hat Beratung und Unterstützung zugesagt.

Am Sonntag, 15. März, treffen sich Künstler der wichtigsten Berliner Schauspielbühnen und tschetschenische Musiker auf der Studiobühne der Akademie der Künste zu einer Matinee: Tschetschenien nach dem Krieg. In Filmberichten, Gedichten und vielen anderen Vorträgen wird über das zerstörte Land und seine politische Isolation berichtet, von den Anstrengungen, ohne fremde Unterstützung einen Neuanfang zu schaffen.

Die tschetschenischen Künstler setzen sich zusammen mit ihrem Kulturminister Achmed Zakajew für den Erhalt ihres Berufstheaters ein. Sie wollen weiterhin auch „europäisches“ Theater spielen und haben große Sorgen, „unmodern“ zu wirken. Damit stehen sie gegen starke fundamentalistische Kräfte, die Berufsschauspieler abschaffen und durch Laienspieler ersetzen wollen. Frauen auf der Bühne soll es nach deren erklärtem Willen nicht mehr geben. Das verbiete der Islam, meinen die Fundamentalisten. Umarmungen, Küsse und andere Liebesgesten auf der Bühne sollen demnach schlicht aus den Stücken gestrichen werden.

Es war die Idee des tschetschenischen Ensembles, Berliner Theaterleute nach Grosny einzuladen und ihrerseits zu einem Gegengastspiel nach Deutschland aufzubrechen.

Peter Krüger