Der plötzliche Abschied von den Idealen

■ Wechselvoll: 25 Jahre Stadtplanung in Bremen / Die Trends kennt der Architekturkritiker Nils Aschenbeck

Zwischen Größenphantasien und gewollter Bescheidenheit liegen manchmal nur wenige Schritte. Noch in den 60er Jahren wollten die StadtplanerInnen das Wachstum Bremens zur Millionenstadt organisieren. Doch mit dem Scheitern des Projekts Osterholz-Tenever kam die Trendwende. Plötzlich wurde nicht mehr planiert, sondern saniert. Über diese und weitere Metamorphosen der Bremer Stadtentwicklung des letzten Vierteljahrhunderts informieren jetzt eine Ausstellung im Planungsamt und ein Katalog. Der Verleger dieses Begleitbuches, der Architekturjournalist und -kritiker Nils Aschenbeck, erklärte im taz -Gespräch, warum auch die scheinbar langlebige Stadtplanung Moden unterworfen ist.

taz: Sie beschäftigen sich seit Jahren mit Architektur in Bremen. Haben Sie bei der Arbeit am Buch neues entdeckt?

Nils Aschenbeck: Ja, es ist mir deutlich geworden, was für eine grundlegende Aufgabe Stadtplanung eigentlich ist und wie viel man falsch machen kann.

Das markanteste Beispiel in Bremen?

Gut gelaufen ist es im Vergleich mit anderen Städten in der Vahr. Doch der Wiederaufbau der Innenstadt und der westlichen Vorstadt ist mit vielen Fragezeichen zu versehen. Fürchterliches Beispiel ist allerdings Osterholz-Tenever. Dieses Viertel ist (von 1967 bis 1975; Anm. d. Red.) mit Mitteln des Bundes gebaut worden. Da sind Millionen an Forschungsgeldern reingeflossen. Es gab zwar schon damals kleine Widerstände, doch die wurden einfach übergangen.

Ist das an die Epoche gebunden oder an die damalige SPD-Dominanz?

An die Epoche. Die SPD war sicherlich die Partei, die die Modernisierung vorangetrieben hat, weil sie diese eigentlich guten Ideale mehr vertrat als andere Parteien und solchen irrsinnigen Lösungen leichter aufsaß. Doch die CDU hat in anderen Städten gewiß genauso etwas verantwortet. Das war Zeitgeist. Man wollte verdichten. Man dachte, Siedlungen wie die Neue Vahr waren zu grün, zu offen, zu wenig urban, und hoffte, durch die Zusammenballung von Menschen würde man städtisches, urbanes Leben erreichen, in dem die Menschen noch glücklicher und kommunikativer werden würden. Aber es ist das absolute Gegenteil erreicht worden.

Wann erkannten die PlanerInnen diesen Irrtum?

Das ging relativ schnell. Schon als Osterholz-Tenever gebaut wurde, brach das. Es ist überhaupt eine interessante Erkenntnis durch die Arbeit an diesem Projekt, daß es um 1974 einen Bruch in der Stadtplanung gab. Was sich in Osterholz-Tenever zugespitzt hatte, wurde verworfen. In diesem Jahr wurden die Mozarttrasse und die Großüberbauung der Östlichen Vorstadt gestoppt. Da wurden das Projekt Hafenquartier in Vegesack und der Weiterbau der Grohner Düne gestoppt. Und dann kam das Gegenteil: Die Planer begannen mit einem kleinteiligen Wiederaufbau. Man wollte angepaßte Stadtstrukturen und sich möglichst an die alten Grundrisse und Bauformen halten. Das war im Prinzip der Beginn der Postmoderne. Es war für mich neu, wie radikal dieser Wechsel war.

Hat das mit dem Ölschock zu tun? Und ist dieser Wechsel nur in Bremen passiert?

Nein, das ist ein bundesweites Phänomen. Die Ölkrise war sicher ein wichtiges Argument. Es wurde deutlich, daß dieses Fortschrittsdenken, daß mit Größe und Masse alles zu machen sei, nicht mehr funktionierte.

Was hat sich durch diesen Abschied vom Fortschrittsoptimismus noch verändert?

Die Wiederentdeckung der Altstädte. Und nicht zuletzt ist der Denkmalschutz in dieser Zeit erst richtig populär geworden. Die gründerzeitlichen Bauten wurden plötzlich nicht mehr abgerissen, sondern restauriert.

Gibt es diesen radikalen Wandel auch übertragen auf Gewerbeentwicklung?

Das war offensichtlich ein Problem dieser Zeit. Natürlich gab es auch weiterhin eine Gewerbeentwicklung, aber so richtig interessiert hat sich dafür keiner mehr. In den 60er Jahren wurden ja noch große Vorhaben geplant wie der Neustädter Hafen. Aber nach diesem Umbruch dachte man wohl, man hätte genügend Gebiete ausgewiesen. Das hat sich in den 80er Jahren gerächt. Ich denke, durch den Mißerfolg mit Tenever traute man sich abgesehen von der Mercedes-Ansiedlung (ab 1978/79) nicht mehr an große Projekte heran.

Das Stichwort Tenever fällt häufig. Aber es gibt auch ein relativ aktuelles Wohnprojekt, das gescheitert ist: Das autofreie Wohnen im Hollerland. Muß man mit solchen Flops leben?

Im Nachhinein weiß man es natürlich immer besser. Man hätte vielleicht von Anfang sagen können, dafür ist der Markt nicht da. Aber andererseits entsprang das Projekt auch dem Bewußtsein der Zeit, den Einfluß des Autos zurückzudrängen.

Seit dem Eintritt der CDU in den Bremer Senat hat es scheinbar eine Trendwende gegeben: Früher wurde über den Abriß von Parkhäusern diskutiert, jetzt werden sie aufgestockt.

Mmmh. Ich komme da ein bißchen in Schwierigkeiten mit meinem Auftraggeber.

Das Produkt ist abgeliefert!?

Ja (lacht). Aber zu diesen Parteiinterna möchte ich mich nicht äußern.

Bremen verliert seit Jahren EinwohnerInnen durch Abwanderung in den Speckgürtel. Bis in die 60er Jahre gab es den Großsiedlungsbau, dann wurden Neubaugebiete mit Reihenhäusern vollgestellt. Doch die Leute, die ins Umland ziehen, wollen ihre zwei Meter Garten rund ums Haus ...

Der Bausenator tut einiges dafür, um neue Gebiete auszuweisen, in denen genau das geboten wird. Aber das Umland ist billiger. Und deshalb glaube ich nicht, daß dieser Trend aufgehalten werden kann. Auch der Ausbau der Verkehrsinfrastruktur verbessert die Erreichbarkeit des Umlands und damit die Attraktivität von Baugebieten dort.

Mit den gleichen Mitteln kann man also nicht kontern?

Ja. Denn irgendwann sind die Flächenreserven verbraucht und Bremer Flächen sind nunmal wertvoller.

Aus heutiger Sicht erscheint der Idealismus der 60er Jahre ziemlich naiv. Aber was, glauben Sie, sind in 40 Jahren die größten Lachnummern aus der Jetztzeit?

Geben wird es die mit Sicherheit, weil man einfach so viel falsch machen kann. Gerade, wenn man sich mit Projekten aus dem Fenster hängen will. Andererseits sind wir im Moment in einer Phase, in der sehr pragmatisch geplant wird und es eigentlich keine Visionen mehr gibt. Das war bei Diskussionen im Planungsamt ein Hauptthema: Haben wir noch Visionen? Als Beispiele werden dann immer der Ocean- und der Space-Park als Visionen für die Umwandlung in eine neue Freizeitgesellschaft genannt. Aber im Vergleich zu dem, was aus der Moderne kommt, eine bessere Gesellschaft zu schaffen, sind das keine Visionen. Und wenn man bedenkt, was mit den Visionen der Vergangenheit schiefgelaufen ist, hat diese pragmatische Stadtplanung, in die ein bißchen Ökologie, soziale Aspekte und Marktwirtschaft einfließen, etwas beruhigendes. Das ist zugleich auch traurig: Es fehlt die Begeisterung – wie damals bei der Neuen Vahr, die mit großer Euphorie gebaut wurde.

Fragen: Christoph Köster

Ausstellung „25 Jahre Stadtplanung in Bremen“bis zum 6. März im Planungsamt, Langenstraße 38-42; Mo-Mi 9-16, Do 9-19, Fr 9-14 Uhr; Katalog „Stadtplanung in Bremen“, 32 Mark