Das Aroma unter der Zunge und den Nägeln

■ Unglückliche Liebe, vergnügliche Obsessionen: „Girls“, neun lesbische Kurzfilme

Ein Kurzfilmprogramm ist ein wenig wie Berlinale en miniature: Man eilt von Film zu Film, ist für zwei Stunden bei einem Klavierlehrer in Korea zu Gast, besucht später ein Nest in Südirland, freut sich mit einer jungen Kubanerin auf deren 15. Geburtstag und sitzt kurz darauf in einem Vorort Tokios. Im Kurzfilmprogramm bekommt man diese Raum-und- Zeit-Reisen zwar in komprimierter Form und ohne den lästigen Zwang, von Kino zu Kino zu hasten, ständig in der Sorge, es käme ein Sitzriese und verstellte die Sicht auf die Untertitel.

Doch das Prinzip ist hier wie dort dasselbe: Durch die mehr oder minder zufällige Kombination entsteht viel Raum für ungeplante Verknüpfungen. Wenn japanische Mondsicheln in einem argentinischen Film wiederauftauchen, dann hat unversehens miteinander zu tun, was nicht zusammengehört, dann steht die Deutungsmaschine vor ganz neuen Aufgaben und Vergnügen.

Die Kombination von neun Filmen, die am späten Donnerstagabend unter dem Titel „Girls“ zu sehen war, schränkte die Lust am freien Assoziieren ein wenig ein, gab es doch einen inhaltlichen Rahmen. Alle Filme beschäftigten sich mit dem Thema Lesbischsein. Unvorhergesehene Überschneidungen kamen deswegen eher selten vor. Die schönste: In zwei Filmen, in „Sour Juice“ von Soshanah Oppenheim und in „Sabor a mi“ von Claudia Morgado Escanilla, ging es um das Aroma, das nach dem Sex unter den Fingernägeln und der Zunge haften bleibt. Bei Morgado Escanilla gab es als Zugabe einen wunderbaren Soundtrack mit Liedern von Carmen Prieto und Mexikos Ranchera- Legende Chavela Vargas, die sich schon vor Jahrzehnten die Freiheit herausnahm, ihre Liebesgesänge ganz unmißverständlich an Frauen zu adressieren.

Neben der unvergleichlichen Stimme der Vargas zeigte „Girls“ einige unglückliche Liebesgeschichten, von denen „Blue Diary“ (Jenni Olson) und „Schwarzes Wasser“ (Nathalie Percillier) besonders traurig waren. Auflockerung bot „Peppermills“ von Isabel Hegner. Um eine höchst vergnügliche Obsession ging es dort. Eine junge Frau, Catherine Déneuve nicht unähnlich, vermißt ihre Sammlung von 257 Pfeffermühlen, von denen jede einzelne eine interessante Geschichte hat. Schließlich machte „Girls“ mit einer Gruppe von Testosteron-Junkies bekannt, die sich zwischen den Geschlechtern ganz gut eingerichtet zu haben schien („St. Pelagius The Penitent“ von Jewels Baker). „Irgendwie brech' ich alle Regeln“, sagte einer von ihnen, bevor er mit selbstgebastelten Flügeln gen Himmel schwebte. Cristina Nord