Tödliche Provinz

■ Gender Studies, tief im Mittleren Westen: „The Brandon Teena Story“ im Panorama

„Wenn Gott gewollt hätte, daß es Schwule gibt, dann hätte er keine Frauen erschaffen“, sagt ein etwa 16jähriger Jugendlicher. In Falls City, Nebraska, tief im Mittleren Westen der USA, ist ein Mann noch ein Mann und eine Frau eine Frau. Hier fällt ein Begriff wie „dyke“ oder „faggot“ nicht, weil man sich das einstige Schimpfwort einverleibt hätte, um es nun entgegen der ursprünglichen Bedeutung einzusetzen. Nein, Judith Butler, die Gender-Studiengänge und ein Bezirk wie San Franciscos Castro sind weit weg. Wer hier „queer“ sagt, der will damit verletzen. Und wer hier „queer“ ist, der muß damit rechnen, verletzt zu werden.

Für die junge Frau bzw. den jungen Mann, dessen Geschichte Susan Muska und Gréta Ólafsdottir in ihrem Dokumentarfilm „The Brandon Teena Story“ rekonstruieren, endet die Verletzung mit dem Tod. Am ersten Weihnachtstag 1993 wird Tina alias Brandon von zwei vermeintlichen Freunden als Frau entlarvt. Für ihre „Lüge“, für ihren Versuch, als Mann durchzugehen, muß sie bestraft werden: Sie wird vergewaltigt. Weil die Täter, John Lotter und Tom Nissen, Angst vor einer Anzeige haben, beschließen sie, ihr Opfer zum Schweigen zu bringen. Knapp eine Woche nach dem ersten Verbrechen ermorden sie Brandon und mit ihm einen Freund und eine Freundin, bei denen er Unterschlupf gefunden hatte.

Susan Muska und Gréta Ólafsdottir nehmen sich einen Stoff vor, mit dem sich Tränen und Märtyrer produzieren lassen. Tatsächlich gibt es Augenblicke in „The Brandon Teena Story“, die einem den Atem verschlagen: Zum Beispiel wenn die Tonbänder eingespielt werden, die von Brandons Aussage über die Vergewaltigung existieren. Kleinstadtsheriff Laux behandelt sein Gegenüber wie einen Verbrecher, anstatt Informationen über die Tat und die Täter zu sammeln. Das Opfer, so will es der Provinzpolizist, trägt selbst die Schuld an dem, was ihm widerfahren ist.

Aber „The Brandon Teena Story“ legt es nicht darauf an, das Publikum zum unreflektierten Mitleiden zu zwingen. Nur einmal, ganz zum Schluß, wenn Brandons Geliebte Lana eine Country-Melodie anstimmt und sich die Kamera gen Himmel dreht, wird es ein wenig sentimental. Sonst halten sich Muska und Ólafsdottir an lange Einstellungen auf triste Landschaften und triste Häuserzeilen, an Fotomaterial und vor allem an ausführliche Interviews mit allen Beteiligten. Selbst die inzwischen verurteilten Mörder kommen ausgiebig zu Wort. Damit öffnet die Dokumentation – bei allem Respekt für Brandon Teena – einen Raum jenseits der Betroffenheit. Muska und Ólafsdottir gelingt eine Gratwanderung, die nur in seltenen Fällen funktioniert. Cristina Nord

Panorama: heute, 11 Uhr, Filmpalast