Was alles zum Schmerz gehört

Das traurige Schicksal einer slowenischen Flüchtlingsfamilie in Tasmanien: „The Sound of One Hand Clapping“, Richard Flanagans Debütfilm, haut auch den stärksten Rezensenten um. Für die Flüchtlingsstadt Berlin wäre der Film ein würdiger Preisträger meint  ■ Detlef Kuhlbrodt

Als der Produzent Rolf de Heer das Drehbuch des australischen Wettbewerbbeitrags – „Das Geräusch einer klatschenden Hand“ – las, sei er in Tränen ausgebrochen, heißt es im Beipackzettel zum Film: „Man konnte mit mir vier Tage nichts anfangen.“ Als Rezensent kann man sich leider nicht vier Tage zurückziehen, wenn einen ein Film so sehr ergriffen hat. Da rennt man nach draußen, ins graue Berliner Wetter, schaut auf den Boden, weil das Gesicht noch ein bißchen verheult ist und guckt nur manchmal nach oben, um zu sehen, ob die anderen, die mit im Kino saßen, auch Tränen in den Augen haben. Das klingt superkitschig und peinlich, doch die eigene Aufgabe ist es ja, davon zu berichten, was war – und den Film so zu loben, daß das die anderen verstehen.

Ist doch nur Film, und du hast gestern kaum geschlafen und bist möglicherweise etwas anfällig, weil du jetzt eine Woche lang ständig Filme geguckt hast, sagt man sich dann beruhigend, und: Paß bloß auf, daß du jetzt nicht total peinlich wirst. Es ist ja auch klar, daß man so berührt ist, wenn man selber früher mal Flüchtlingskind war und einige Geschichten, von denen der Film auch handelt, ein bißchen aus dem eigenen Leben kennt. Und wenn dann noch, in einem der traurigen Räume des Films, genau das gleiche Bild an der Wand hängt, wie bei den eigenen Großeltern, ist man natürlich erschüttert und möglicherweise nicht mehr so ganz objektiv-kompetent.

Also: Der Debütfilm des in Tasmanien aufgewachsenen Schriftstellers Richard Flanagan erzählt die Geschichte einer Familie, die nach dem 2. Weltkrieg nach Australien floh, um hier ein neues Leben zu beginnen. Genauer, in eine tasmanische Kleinstadt, die manchmal ein bißchen an Slovenien, manchmal an Schweden erinnert.

Am Anfang, 1954, begrüßt ein Politiker die Arbeitsemigranten, die in der tasmanischen Wildnis einen Staudamm bauen sollen. Er beglückwünscht sie zur Einbürgerung und wünscht ihnen, daß sie hier ihren Traum eines neuen Lebens verwirklichen können. Ein Mann, hat ein kleines, goldlockiges Kind im Arm. Beide weinen etwas laut. Das zu Laute gehört nun mal zum Schmerz.

Am Anfang verläßt die traurige Mutter Maria (Melita Jurisic) das goldlockige Kind. Sonja (Rosie Flanagan) hat Angst im Dunkeln, deshalb läßt die Mutter das Licht in der ärmlichen Hütte an, als sie geht. Eine letzte Zärtlichkeit.

Der Anfang ist das Ende. Am Ende wird, wie bei Freud und im Film, der Anfang wiederholt, damit es besser noch einmal beginnen kann. Flanagan wechselt in dem Drama einer slowenischen Emigrantenfamilie zwischen den Zeitebenen hin und her. Von Sonjas Kindheit, die sie zunächst in fremden Familien erlebt, zur erwachsenen Sonja der Jetztzeit (Kerry Fox), die 1989 ihren alten Vater Bojan Buloh (Kristof Kaczmarek), wieder besucht, zu Sonjas Jugend mit dem traurigen Vater.

Aus der ersten, streng katholischen Leihfamilie wird Sonja kurz vor ihrer Kommunion wieder rausgerissen. Der Vater haßt alles Katholische. Er hatte erlebt, wie katholische Priester in seiner Heimat ihre Landsleute deutschen SSlern auslieferten. In einer anderen Leihfamilie versucht der Mann das kleine Mädchen zu mißbrauchen und sagt, daß ihre Mutter eine Hure gewesen sei. So lebt sie dann mit ihrem verschlossenen Vater zusammen, der sich heimatlos fühlt und verachtet, der seinen Kummer im Alkohol ertränkt, dessen Versuche, sich ein neues Leben zu bauen, scheitern. Oft schlägt er seine Tochter, die ihm das Trinken vorwirft, die ihn liebt und umsorgt und eifersüchtig ist, als er mal eine Geliebte hat.

Später verläßt die Tochter den Vater und geht nach Sidney. Glücklich wird sie da auch nicht. Schwanger mit einem ungewollten Kind, kehrt sie zurück. Hartgeworden schlägt sie irgendwann ihren Vater, der trinkend immer nur vergessen will, der sich verschanzt hat in seinem Unglück und immer nur sagt, sie könne das, was geschah, nie begreifen.

Nur langsam nähert sie sich ihrem verbitterten Vater. Dann erzählt er ihr von dem Grauen, das ihre Mutter damals, im besetzten Slowenien erlebte, vom Selbstmord ihrer Mutter, den sie verdrängt hatte. Am Ende können Vater und Tochter wieder miteinander sprechen. Am Ende wird ein Kind geboren. Das mag einem blöde vorkommen, stört aber nicht.

„The Sound of one hand clapping“ – der Zen-Spruch deutet auf intellektuelle Unlösbarkeit – ist ergreifend und (wie blöd das klingt) durchgehend glaubhaft. Die Hauptdarsteller Kristof Kaczmarek (Vater) und Kerry Fox (Tochter) sind großartig. Dies Gesicht des Vaters: in der Hoffnung, mit der er versucht, sich ein schöneres Leben zu bauen, liegt immer schon das Mißlingen; in seiner angstmachenden Verstocktheit sind auch die zärtlichen Worte da, die er gerne sprechen würde und doch nicht kann, weil er sich in sein Unglück eingesperrt hat und Englisch nur gut ist für die Kneipe oder die Arbeit. Im toughen, robusten Gesicht der Tochter gibt es manchmal eine wunderschöne Zärtlichkeit.

Es gibt viele solcher Gesichter in Berlin, der Flüchtlingsstadt. Eigentlich ist mir der Wettbewerb egal. Doch gerade hier sollte der Film ausgezeichnet werden.

Wettbewerb: heute, 9.30 Uhr, Royal Palast; 18.30 Uhr, International; 22.2., 21.15 Uhr, Urania