Nicht-lineare Computerhansel ohne Vergangenheit und Zukunft

■ Nachtgedanken zur techno-logischen Tanzmusik anläßlich der Voodoomania-Sampler Release Party im Magazinkeller

Zur Wendezeit anno 1989 kehrte zwischen den rauchenden Trümmern der Industriegesellschaft die Tanzmusik zurück. Eine autarke Subkultur zog sich durch sämtliche Lebensbereiche und baute sich eine eigene Welt aus beliebigen Bezügen zusammen. Techno stampfte mit dem Fuß und überreizte in kürzester Zeit alle möglichen Fantasy-Welten der Popkultur. Im Post-Wall-Chaos waren in Berlin noch zahllose Häuser besetzt oder wurden einfach nur für eine Nacht aufgebrochen.

Techno entstand aus der englischen Acid-Bewegung, die sich mit Trillerpfeifen bewaffnet auf nassen Kuhweiden zusammenrottete, um den nervtötenden Beat der Stechuhr loszuwerden. Konservative Songstrukturen und Rock-Ikonenbildung wurden völlig abgeworfen und durch einen Fitness-Kult ersetzt. Das tanzende Individuum wurde den eigenen Ausdrucksmitteln überlassen. Das Abenteuer Globalismus hatte begonnen, und jeder Friseur konnte zum Medienstar avancieren.

Die Technostrukturen waren schnell errichtet. Westbam, Marusha und viele andere hatten ihre Punk-Vergangenheit zwar ni-velliert, aber sie hatten trotzdem eine Menge Know-how mitgebracht. Das Spiel mit den Medienmechanismen, Great Rock'n'Roll-Swindle, Popmoderne etc.

Labels wie „Warp“fuhren gleich auf Businesskurs und sahen das Ende des Golden age schon lange vor dem Big bang, der aus dem Experimentierfeld Techno eine Vielzahl kleiner Rumhänger-Cliquen machte (auch „abslowen“oder „chillen“genannt).

Irgendwann kamen nämlich die Wackelpuddingfraktion vom Goa-Pauschalurlaub wieder und brachte den ganzen mystischen Naturquatsch mit, der schon vor 30 Jahren belächelt wurde. Techno lebt prinzipiell im 23. Jahrhundert (Star Trek-Liberalismus und so) und verweigert alle „Musik zur Zeit“-Bezüge, die von Rockjournalisten eingefordert werden, bis U2 mal nicht mehr sind. Techno verweigert die eigene Vergangenheit und interessiert sich für die Konstruktion neuer Realitäten.

Dafür werden Räume musikalisch interpretiert und Erlebniswelten geschaffen. Die Leute begnügen sich mit der reinen Ästhetik. Früher waren sie Punker und heute haben sie eine andere verrückte Frisur, die allerdings etwas teurer war.

Am Freitag abend stellte „Voodoomania“, das Bremer Label für „Techno underground“,e seinen ersten Sampler vor. Das Spektrum hat Acid nicht vergessen und bearbeitet alle Spielarten der elektronischen Musik, ohne genrehaft zu versacken. Voodoopriester, Cycom, Teccone und eine Reihe von DJs beschallten den Magazinkeller, und „Deko 23“sorgten für Röntgenbilder und Neon Hippie-Pappmachekreationen.

Waxworker von „Lunatic Eclipse“waren auch angetreten. Das Bremer Duo ist mit Radio Edit von „Sundance“gerade auf dem „Ethno Dance Vol.1“von „Nova Tekk“gelandet. Im gleichen Line-up stehen die überragenden „Future Sound of London“und „Tangerine Dream“. Musikalisch ist eine Rückkehr der Vocals zu beobachten, aber Techno ist in Bremen ziemlich tot und sexy House kommt zurück im großen Stil.

Es ist wie mit dem Internet. Alle reden davon, eigentlich steckt nichts dahinter und eine Menge Sachen sind „under construction“.

Das Problem an Techno ist der Mangel an guten Samplern, die den Berg von Schrottplatten sortieren, aber das wäre zuviel historische Kontinuiät für die nicht-linearen Computerhansel ohne Vergangenheit und ohne Zukunft.

„Die Blaue Stunde“(jeden Mittwoch, 23 Uhr, FM 95.5) macht dabei eine gute Figur, und wir werden sehen, wohin uns Speed Garage führt. Trendbewußtsein ist die große Lehre der 80er. Alles geht. Cubase ist in jedem Kinderzimmer installiert. Stefan Ernsting

Ausführlichere Informationen zum Sampler und zur Technoszene kann man über das Internet unter der Adresse http://pages.vossnet.de/teccone einsehen