Weihnachten mit Ballspiel im Februar

■ Die „Galerie im Park“im Zentralkrankenhaus Bremen-Ost leistet mit einem Mini-Etat Beachtliches / Zur Zeit zeigt Martin Voßwinkel dort seine Installation „Rollfeld“und wird zur Finissage am Dienstag Geschenke verteilen

Weltreise in die Provinz: Mit der Buslinie 25 vierzig Minuten gen Osten (“Hättest du eben die Tramlinie 1 genommen, 10 Minuten fahren plus fünf Minuten zu Fuß“, erfährt man natürlich erst hinterher). Das Zentralkrankenhaus Ost begrüßt den Besucher mit Stahlstelen – ägyptisch, mittelpharaonische Phase – die ihm das Corporate Design des ZKH ins Hirn brennen wollen: Grüner Punkt, wir entsorgen ihre Krankheit umweltschonend. Dann kommt die neue Heimat, erst die für das Auto. Hinter einem unendlichen Karosseriemeer ragt stolz das ZKH ins Himmelsgewölbe, grau auf grau, das paßt. Es ist ein seltsamer Mischling aus Burgfestung und Kleeblatt. - Schnitt. Rechts beginnt das Idyll, es krächzt aus Papageihälsen in einer Vogelvoliere, es ächzt aus dem Gebälk lustiger Fachwerkhäuser. Drumrum Wiesen und Bäume. Und Steinkugeln. Die sind Kunst und ärgern den Gärtner beim Rasenmähen.

Heldentaten entspringen Minderwertigkeitsgefühlen. Auch Kunst entspringt Minderwertigkeitsgefühlen. Das Zentralkrankenhaus Ost unterhält seit 1993 drei Kultureinrichtungen: Ein Museum der Psychiatriegeschichte, ein Haus für Lesungen und Konzerte, außerdem eine Galerie für Gegenwartskunst. Eine kulturelle Heldentat. Und was ist wohl dafür verantwortlich? Richtig. Der ... , genauer gesagt, der zartbittere Beigeschmack, den die Geschichte der einstigen ,Irrenanstalt' dem Namen des Krankenhauses anklebte. Unterbewußt wühlende Ängste der Patienten vor Entmündigung und Festhalten will man abarbeiten durch die Offenheit der Kunst.

Vom Minderwertigkeitskomplex des ZKH profitieren kulturbeflissene Patienten und Nichtpatienten, die ausgestellten Künstler in Bremen und umzu und Patricia Räbiger. Sie hat seit 1994 einen Projektarbeitsvertrag in der Tasche für das Organisieren von vier Ausstellungen im Jahr, einen 1A-Apple-Mac zum Designen der Einladungskarten, einen halben Zivi unter anderem zum Überwachen der Galerie mittwochs bis sonntags von 15-18 Uhr und einen Etat von 10.000 Mark im Jahr, macht 2.500 Mark pro Ausstellung. Für die Kunstwissenschaftlerin könnte der Minderwertigkeitskomplex des Krankenhauses ruhig ein bißchen größer ausgefallen sein. So ist ihre Galeriearbeit ein Stück Überlebenstraining: Existieren mit wenig Geld. Patricia Räbiger kommt (fachlich) aus dem Mittelalter und erhielt ihre Weihen in Sachen Moderne erst spät durch ihre Mitarbeit bei Jan Hoets documenta IX. Aber erkläre mal einer einer Horde Japanern oder Versicherungsmanagern in einer sechstündigen Führung Avantgarde, und er/sie weiß, was Kunst ist, garantiert.

Auf 230qm Ausstellungsfläche im ehemaligen Schweinestall, Teil der Idylle rechter Hand, zeigt sie alles, also Abstraktes und Gegenständliches, Zeichnungen und (dieses Jahr geballt) Skulpturen, nächstes Jahr vermutlich sogar Camille Claudel, HdK-Absolventen, Etabliertes und Martin Voßwinkel. Der hat zwar in Ottersberg studiert, ist aber frei von Betulichkeit; obwohl er in seinen Arbeiten die Nähe zur Natur sucht, egal ob Bilder oder Land art. Jackson Pollock spritzte aus Farbkübeln. Voßwinkel dagegen erzeugt seine verschlungenen All overs, indem er kleine und/oder große Kugeln über die feuchte Leinwand rollt. Manchmal tunkt er die runden Spurenleger in Farbpigmente, Kalk oder Erde. Manchmal gewinnt er die Farbe aus Holundersaft. Und durch die großen Fenster der Galerie grüßt Naturgeäst das naturnahe Kunstgeschlinger. In der achsensymmetrischen Raumflut prunken harmoniewillige Triptychen: Dünner Streifen, dicker Streifen, dünner Streifen. Auch auf ihnen erwachsene, ruhige Ballspiele. Unter der gerippten Decke des dreischiffigen Hauptraums ist bescheiden die Hauptarbeit ausgelegt: „Rollfeld“, ein paar hundert Ferrero-roche-große Puderbällchen, sauber aufgereiht und durch Voßwinkels 15-Minuten-Durchschleichen im Schneckentempo durcheinandergebracht. Nicht Chaos in Ordnung, sondern ganz normales Leben und Ordnung, Zeit und Ordnung.

Am 24. Februar wird der Künstler seine meditative Störungsarbeit wiederholen. Kommentare zur Aktion werden durch kleine Präsente belohnt. Unter Kommentar versteht Voßwinkel übrigens nicht nur verbale Äußerungen, sondern auch das Winken mit der Hand.

Vom Redaktionstisch aus winkt freundlich Barbara Kern

Am 24. Februar um 19 Uhr ist für Martin Voßwinkels Installation die Finissage mit Performance. Am 5. März ist Vernissage für die Skulpturenausstellung von Dieter Begemann (19.30 Uhr)