Justitia und der verrückte Hutmacher Von Ralf Sotscheck

Jeremiah Harman, Richter am Londoner High Court, war schon zweimal zum schlechtesten Richter Großbritanniens gewählt worden. Als ihm dann auch noch das Berufungsgericht bescheinigte, das „Vertrauen der Öffentlichkeit in die gesamte Justiz“ zu untergraben, hängte der 67jährige seine Perücke an den Nagel. Anders wäre man ihn kaum losgeworden, denn ein Richter des High Court kann nur durch Beschluß des Ober- und Unterhauses entfernt werden.

Es war erst das zweite Mal in diesem Jahrhundert, daß ein Richter wegen erwiesener Klotzköpfigkeit zurückgetreten ist, obwohl die Liste ebenbürtiger Kandidaten ziemlich lang ist. In der Anwaltszeitung war Harman als „gemein, unberechenbar und verrückt wie ein Hutmacher“ beschrieben worden, womit man dem „Mad Hatter“ aus „Alice im Wunderland“ freilich unrecht tut. Harmans letztes Opfer war Rex Goose. Der Bauer war von einem Trickbetrüger hereingelegt worden, mußte aber nach Prozeßende noch 20 Monate auf das Urteil warten. Seine Anwälte hatten bereits überlegt, eine Lebensversicherung auf den Richter zugunsten ihres Klienten abzuschließen, damit der wenigstens die Prozeßkosten hätte bezahlen können, falls dem Richter etwas zugestoßen wäre. Unkraut vergeht aber nicht, und Goose ging leer aus: Als Harman endlich das Urteil verkünden wollte, waren ihm seine Notizen abhanden gekommen. An die meisten Beweise konnte er sich gar nicht mehr erinnern.

An Paul Gascoigne, genannt „Gazza“, konnte er sich auch nicht erinnern, obwohl der zu den berühmtesten englischen Fußballspielern gehört und wegen diverser Skandale nicht nur die Titelseiten der Sportzeitungen beherrscht. Als Gascoigne gegen eine unautorisierte Biographie klagte, sinnierte Richter Harman: „Gazza? Gibt es nicht eine Operette namens La Gazza Ladra? Das ist eine sizilianische Leiter.“ In Wirklichkeit ist es eine diebische Elster, aber das spielte dann auch keine Rolle mehr. Harman wies Gascoignes Klage ab, weil er meinte, Reklame jeder Art sei für einen unbekannten Fußballer von Vorteil. Oasis und Bruce Springsteen waren ebenfalls Namen, die Harman noch nie gehört hatte. Kein Wunder: Die Hobbys des Richters sind Angeln, Jagen und das Beobachten von Vögeln.

Über Frauen hatte er eine sonderbare Meinung. Einer Zeugin, die nicht mit „Miss“, sondern dem neutralen „Ms.“ angeredet werden wollte, sagte der richtende Hutmacher: „Ich dachte immer, es gebe nur drei Arten von Frauen: Ehefrauen, Huren und Mätressen.“ Anwältinnen schickte er manchmal zurück in die Garderobe, wenn ihr Haar nicht ordentlich unter der Perücke versteckt war.

Andere traf es härter. Einem Taxifahrer, der ihn zum Gericht fahren sollte, trat Harman 1992 in die Eier, weil er ihn für einen Fotografen gehalten hatte. Seitdem hieß er „Kicking Judge“. Sein Chef, Lordrichter Denning, verteidigte ihn nach dem Tritt: „Wir brauchen Richter mit einer ausgeprägten Persönlichkeit.“ So wie Denning selbst: Kurz bevor die Birmingham Six, die 17 Jahre unschuldig im Gefängnis gesessen hatten, freigelassen wurden, sagte der Harman: „Wir hätten sie damals aufhängen sollen, dann würde es jetzt keine Kampagne für ihre Freilassung geben.“